Liebe Schülerinnen und Schüler,
Introversion ist unser „Persönlichkeits-Kropf“ in der schrillen, lauten, spontanen, chaotisch modernen Welt, nicht notwendig, nur störend, am besten herausgeschnitten für ein hippes Leben. Introversion – die angezogene Handbremse unseres Lebens, Extraversion – der Gashebel der Lebendigkeit auf der Überholspur unserer Zeit. Provokante Gegenthese von Martin Wehrle: „Brauchen wir Introvertierten wirklich mehr Rednerkurse? Oder braucht unsere Gesellschaft nicht vielmehr Zuhörerkurse für die Extravertierten? Und kann es sein, dass unsere Gesellschaft es akzeptiert, dass die Lauten immer die Vorbilder und die Leisen immer die Nachhilfeschüler sind?“
Corona hat gezeigt, wer Vorbild und wer Nachhilfeschüler ist. Introversion als Stärkefaktor! Introversion ist das Sein in einer Welt des Scheins, der digitalen Hochstapler, der Fake-News. Eigentlich hätte es Corona nicht bedurft, um die Stärken der Introvertierten zu erkennen, jetzt sind sie aber offensichtlich. Wir können allein sein, strukturiert und produktiv, in Corona-Zeit ein entscheidendes Plus, in normalen Zeiten nur eines von vielen Lebens-Vorteilen, die wir Introvertierten haben.
Unsere Stärken: Durchhaltevermögen, Hartnäckigkeit, Zähigkeit als die wichtigsten. Wir bleiben dran, allen Ablenkungen zum Trotz, wir schaffen uns voran – trotz aller Rückschläge, wir haben ein Ziel, das wir in Begeisterung, Entschlossenheit und Ehrgeiz verfolgen – und wir haben den langen Atem, um den Marathon der Anforderungen zu gewinnen. Es gibt viele Untersuchungen der Psychologie, die zeigen, dass nicht Begabung der entscheidende Faktor für den Erfolg ist, sondern Beharrlichkeit und Zähigkeit. Wir gleichen aus, was uns die Natur nicht schenkte, und überholen oft die, die es von Natur aus haben. Ein Fußballer-Beispiel für euch: Ihr kennt doch Uwe Seeler vom Hamburger SV, 2022 verstorben? In seiner Zeit einer der besten Mittelstürmer der Welt. Er ist eher klein, das war nicht änderbar, also musste er höher springen als alle anderen. Er trainierte stundenlang Tag für Tag an einem Galgen mit einem freischwebenden Ball… und immer wieder ein Stück höher, bis er am Ende die Kopfballstärke und Sprungkraft hatte, die ihm die Natur eigentlich verwehrte.
Wir können das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden und uns klare Ziele setzen. Wir tanzen nicht auf allen Hochzeiten, wir suchen uns die schönste aus und genießen sie in voller Hingabe. Wir sind in Begeisterung bei der Sache, überzeugt von ihr, machen sie zu unserer, in der wir aufgehen und im Flow glühen – meist allein, im Rückzug, in der Stille, aber in unserer Lebendigkeit. In uns tanzt das Tun, berauscht uns – ein unbeschreibliches Glücksgefühl.
Wir meiden das Multitasking, es ist nicht unser Ding. Wir betreiben „Monotasking“, nur eine Sache, die aber hundert Prozent und in voller Konzentration. Wir hudeln nicht den Wohnungsschlüssel in den Kühlschrank, wir haben einen Ort für alle Schlüssel, auch sonst sind wir selten am Suchen in unserem gut organisierten Zuhause. Wir bringen Ruhe und Gelassenheit in unser Leben, und aufgrund unser strukturierten Tages- und Wochenplanung, die wir in Disziplin auch erfüllen, ist unser Leben für die heutige Zeit relativ stressfrei. Da wir schnell panisch werden, wenn wir etwas nicht unter Kontrolle haben, fangen wir Projekte frühzeitig an und haben negative Überraschungen schon im Zeitplan eingepreist. Das macht uns und unsere Projekte erfolgreich.
Wir hören anderen zu, sind aber von deren Meinung nicht abhängig. Wir sind konzentrierte, einfühlsame Zuhörer, sprechen nicht ständig von uns, stellen den anderen in den Mittelpunkt und texten ihn nicht mit unseren Erlebnissen zu. Likes sind schön, aber nicht das Kriterium für unser Tun. Wir gleichen keinem Korken im Wasser, der vom Wind der Sympathie mal in die eine, mal in die andere Richtung, mal im Kreis gedreht wird, wir sind uns Motor, wir geben uns Richtung – unabhängig von anderen.
Das Schreiben ist unsere Welt, nicht das Sprechen – wir kommen eh nicht zu Wort. Im Schreiben finden wir uns, vertiefen Erlebtes und Gefühltes, ordnen Erträumtes zu Visionen, die wir zu Taten machen. Das Schreiben ist wie ein zweites Leben – ein in Sprache geworfenes Glücksgefühl, ein in Sprache gefrorener Schmerz, ein zu Sprache gewordenes Bild. So werfen wir den Anker der Erinnerung in uns aus. Wir ordnen das in uns Brodelnde, unterwerfen es sprachlichen Strukturen, zähmen und machen es für uns greifbar, begreifbar. Das Geschriebene wird uns zum Gegenüber, zu dem wir in Dialog treten – in Offenheit für neue Wege.
Mein Tipp am Schluss: Hört endlich auf, euch mit anderen zu vergleichen, schon gar nicht mit den Extravertierten. Konzentriert euch auf das, was ihr an „Persönlichkeits-Mitgift“ bekamt und wuchert mit euren Pfunden, sie sind schwerer, als ihr denkt. Aber achtet bei der Berufswahl auf die Schattenseite der Introversion – schnelleres Ermüden, weniger Multitasking, höhere Reizschwelle. Akzeptiert eure Grenzen, trefft nicht eure Wahl nur aufgrund persönlicher Vorlieben, sondern entscheidet euch für eure genetisch bedingten Fähigkeiten. Die begleitende psychologische Kurzsendung mit Tipps findet ihr unter „Vertiefung“.
Eingelesen auf YouTube (12 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=afB4xyvfNOw
Visualisierte Kopiervorlage mit Fotostory
„Ich bin nicht langweilig – ich bin nur schüchtern“: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g22-ha-schuechternchantallarissa.pdf
„Die Stillen in der Schule – Introversion“
Artikel-Brief-Reihe: Manuskript und Link auf YouTube
- „Vom Glück der Introversion“: Manuskript: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-1-vom-glueck-der-introversion/ und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=HhRs9Qe_zCE
- „Introversion/Schüchternheit – Zwei Paar ‚Psycho-Stiefel‘“: Manuskript: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/17492/ und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=UAa1wxz7914
- „Introversion – Vom Kind zum Lehrer“: Manuskript: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-3-introversion-vom-kind-zum-lehrer/ und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=xCkNe0SP7O4
- „Introversion – unsere Stärken“: Manuskript: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-4-introversion-unsere-staerken/ und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=afB4xyvfNOw
- „Introversion – In der Schule – Tipps“: Manuskript: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-5-introversion-in-der-schule-tipps/ und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=UeauKeqwuAM
Zur Vertiefung für Interessierte:
- „Entscheidungskriterien – Beruf/Studium“ (YouTube, 9 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=xr09WAEZje0&list=PLgGIkOSoO_sscIM-kpGMHsMAZjrEFCW6a
- Corona: „Die Stunde der Introvertierten“: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/168-2020-10-21-corona-introversion.pdf
- „Stärken der Introvertierten“ (YouTube, 5 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=NXxMdp26NRs&list=PLgGIkOSoO_stChB6VSVyjy6WhsNKV1cNA&index=3&t=36s
- „Introvertierten eine Bühne!“ (YouTube, 9 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=nqqaRuiKXk8&list=PLgGIkOSoO_stChB6VSVyjy6WhsNKV1cNA&index=5
- „Berge oder Meer?“ (YouTube, 5 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=N2UiOsEofJg&list=PLgGIkOSoO_stChB6VSVyjy6WhsNKV1cNA&index=4&t=38s
- „Introvertiert – anders, aber nicht daneben“ (YouTube, 10 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=jgXuxqxHdBc&list=PLgGIkOSoO_sscIM-kpGMHsMAZjrEFCW6a&index=10
- „Introversion aus Schülersicht“: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/169-2020-11-04-introversion-hannah.pdf
- Die gesamte Reihe „Die Stillen“ auf YouTube: https://www.youtube.com/playlist?list=PLgGIkOSoO_stChB6VSVyjy6WhsNKV1cNA
Materialien für Lehrer und Schüler
- Alle Abi-Materialien auf einen Blick: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/abi-vorbereitung/ und Power-Paket für Abi-Entschlossene: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/gesamt-strategie-fuer-abi-kaempfer/
- „Die Stillen in der Schule“ – Ermutigung + Strategien bei Introversion – zum Lesen, Ausdrucken und Anhören: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-1-vom-glueck-der-introversion/
- „Jugend im Selbstspiegel“ – eigene Texte mit Zeichnungen, präsentiert in einer öffentlichen Lesung: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/der-mensch-mit-dem-schizophren-denkenden-herzen-und-der-verwirrten-seele/
- „Handy, Schule und unser Gehirn“, neurologisch-psychologische Forschungsergebnisse in Blick auf Handys und soziale Medien: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/alle-vorsaetze-sind-fuer-den-arsch-wenn-man-sich-nicht-daran-haelt/
- „Handyverbot an Schulen – und alle haben ein Problem weniger!“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/handyverbot-an-schulen/
- „Die Macht der Disziplin“ – diszipliniert → erfolgreicher, stressfreier und glücklicher: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/disziplin-erfolgsfaktor-in-der-schule-einfuehrung/
- „Schülerzeitungsermutigung“ (22 Artikel) – Rückblick, Tipps und Strategien für Schüler-Freiraum: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/redaktionsgroesse-zwei-pizza-regel/
- „Faule Säcke, werdet Lehrer!“ – billiger Populismus gegen den Lehrerberuf durchs Kultusministerium: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/faule-saecke-aller-laender-werdet-lehrer-in-baden-wuerttemberg/
Für 2025: Nicht piensen + klagen → anpacken + tun!
Für ukrainische Jugendliche habe ich meine Internetplattform zur Verfügung gestellt. Gleiches wollte ich jüdischen Jugendlichen anbieten und mailte alle jüdischen Gymnasien an – bis jetzt ohne Antwort. Mir wäre wichtig gewesen, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen. Ich bereite für Oberstufenschüler kostenlos im Internet die aktuellen Deutsch-Abi-Werke vor, schreibe für das städtische Mitteilungsblatt und ein Infoblatt in Arosa und als Pressewart für unseren Tennisclub. Alles nichts Weltbewegendes, aber es ist ein konkretes Tun, ein konkretes Engagement, ein konkreter Dienst für andere. Das nimmt mir das sinnlose Grübeln, Ängstigen und Verzweifeln an einer Welt, der ich mich hilflos ausgeliefert fühle.
Für 2025: Träumen, Wollen, Tun, Bekommen!
Klaus Schenck
„Gebt nicht auf! Für den Triumph des Bösen braucht es nur eines – die Untätigkeit der Guten.“ (Nawalny)