Das Haus des Lernens in Külsheim

„Eigentlich bräuchten wir gar keinen Stundenplan, wir dürfen machen, was wir gerade wollen!“ Linus, Klasse 5b, ist hellauf begeistert von der neuen Schulform. Seit diesem Schuljahr besuchen er und rund 60 andere Schüler/innen das ,Haus des Lernens‘ in Külsheim, einen Teil der Pater-Alois-Grimm-Schule, der in diesem Jahr seine Premiere feierte. In den letzten Jahren gab es vermehrt negative Entwicklungen, die nach einer Neuorientierung verlangten, rückläufige Schülerzahlen, Gefährdung der Werkrealschule und die unzufrieden stellenden Ergebnisse der Pisastudie.
Die Idee, die entwickelt wurde, war eine neue Konzeption der Schule, eine Versuchsschule. Jedoch ging dieser Plan nicht auf – Günther Oettinger hatte kurz zuvor bekannt gegeben, dass in Baden-Württemberg keine Versuchsschulen mehr zugelassen werden – stattdessen kam man auf die sogenannte Modellschule, die mehr Freiheiten in individueller Organisation und Gestaltung bietet. Als Vorbild wählte man die Schweizer Privatschule ,Haus des Lernens‘ nach den Idealen Peter Frattons, die bereits seit den 80er Jahren besteht. Zwar orientierte man sich an seinem Konzept, jedoch wurden auch viele Änderungen vorgenommen, insbesondere natürlich der Unterschied zwischen privater und öffentlicher Schule, außerdem konzentriert man sich verstärkt auf die Bereiche Gruppendynamik und Kommunikation, während in der Schweiz die stille Einzelarbeit im Vordergrund steht. Das ,Haus des Lernens‘ in Külsheim ist somit einzigartig. Der Unterricht unterscheidet sich in vielem von dem der normalen Schulen. Der Unterricht wird sehr viel individueller auf jeden einzelnen Schüler und seine Auffassungsgabe angepasst. Zu Beginn treffen sich Lernbegleiter/innen ( = Lehrer ) und Lernpartner/innen ( = Schüler ) zum gemeinsamen ,Input‘ in speziell dafür errichteten Räumen.
Dort wird durch den Lernbegleiter in das Thema eingeführt. Die Lernpartner gehen daraufhin in das Lernatelier, ein für jedes Kind mit Computern ausgestatteter Raum, in dem das Gelernte vertieft und geübt wird.
Am Anfang jedes Tages werden von den Schülern in Zusammenarbeit mit dem Lehrer erreichbare Lernziele festgelegt. Dabei wird auf die individuelle Förderung geachtet, Kinder erkennen so, sich richtig einzuschätzen und sich nicht selbst zu über- oder unterfordern. Ob die Zielvorgaben tatsächlich erreicht wurden, wird durch den Lernbegleiter überprüft. Nach einer gewissen Zeitspanne werden auch Klassenarbeiten geschrieben, hierbei gibt es wieder eine außergewöhnliche Regel: innerhalb eines vom Lehrer vorgegebenen Rahmens dürfen sich die Schüler/innen selbst aussuchen, wann sie die Arbeit im jeweiligen Fach schreiben möchten. So entsteht für schlechtere Schüler nicht der Druck, den Stoff übereilt oder nur halb zu erlernen, und gute Schüler werden nicht durch ihre Mitschüler aufgehalten und können sich bereits anderen Lernzielen widmen – auch fächerübergreifend. Wer wann welchen Stoff bearbeitet, ist die Entscheidung des jeweiligen Schülers, zur Autonomie des ,Haus des Lernens‘ gehört die Freiheit, den Stundenplan umzugestalten und mit Lernzeit Personenbezogen umzugehen. Voraussetzung ist bloß, dass am entsprechenden Termin das Lernziel erreicht und in angemessener Zeit eine Klassenarbeit geschrieben wurde. Wer übereilt eine Klassenarbeit ansetzte und möglicherweise doch noch mehr Zeit zum Erlernen des Themas benötigt, kann die Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen – mit anderen Aufgaben, selbstverständlich. Die Schüler/innen arbeiten im Atelier in ruhiger Atmosphäre, jeder für sich an seinem Computer. Über eine Zentralschaltung können am Lehrercomputer die Arbeitsschritte der Schüler überprüft werden. Um den Lernstoff für jeden gut verständlich zu machen, gibt es Aufgaben in drei Schwierigkeitsstufen, die sich die Schüler nach eigener Einschätzung zu ihrem Arbeitsplatz holen und bearbeiten. Wer die leichtesten Aufgaben gut beherrscht, kann mit der nächsthöheren Stufe beginnen, und hat so auch im Voraus schon eine Einschätzung für die Klassenarbeit: das Lösen der leichteren Aufgaben bringt dem Schüler etwa die Note 4, sind zudem die mittleren Schwierigkeitsgrade erfüllt, wird die Note im Bereich 2,5 bis 3,8 liegen, wer die anspruchsvollsten Aufgaben problemfrei lösen kann, wird sich über eine noch bessere Benotung freuen können. Zur besseren Übersicht und Organisation führt jeder Schüler ein Lerntagebuch, in das Erarbeitetes eingetragen wird.
Nicht in allen Fächern handhabt man den Unterricht auf diese Art und Weise.
Insbesondere in Sachfächern, wie beispielsweise Geschichte, wird vorrangig in Gruppenarbeit oder mit Stationsbetrieben gelernt. Das erfordert zwar ein hohes Maß an Vorbereitungszeit und Einsatz durch den betreffenden Lehrer, allerdings wird das Thema so von den Schüler/innen weitaus besser verinnerlicht als bei gewöhnlichem Unterricht, in dem der Stoff zwar vorbereitet und gegliedert vorgetragen wird, aber meist zu einem Ohr rein und zum anderen wieder heraus kommt. Was dann kurz vor der Klassenarbeit ins Kurzzeitgedächtnis gebüffelt wird, ist nach wenigen Tagen schon wieder vollkommen vergessen. Nicht so bei eigeninitiiertem Erarbeiten vom Infos, die Kinder bearbeiten vorbereiteten Stoff und erweitern ihr Wissen dann in Einzel – oder Gruppenarbeit via Internet, Bücher oder Versuchen. „Jeder Mensch lernt in jeder Situation“ meint Rainer Häfner, Klassenlehrer der 5. Klasse, die dieses Schuljahr den Start mit dem ,Haus des Lernens‘ wagten. Mit Erfolg, denn wie die Schüler/innen selbst von sich und den Eindrücken der neuen Form des Lernens erzählen, haben alle großen Spaß an den Unterrichtsmethoden und entwickeln mehr Ehrgeiz, sich bewusst und eigenverantwortlich auch mit unliebsamen Fächern zu beschäftigen. Kathrin (5. Klasse) berichtet: „Meine Noten sind auch viel besser geworden. Ich war in Deutsch immer so schlecht, und jetzt hab ich sogar Einsen. Manchmal lern ich auch freiwillig, früher hab ich mich geweigert mich an den Schreibtisch zu setzen, aber jetzt nicht mehr.“ Und obwohl die Schule nun zu einer Ganztagsschule umgeformt wurde, der Unterricht jeden Tag also erst um drei Uhr Nachmittags endet, empfinden die Schüler/innen ihren Alltag als weniger stressig. Die Schulstunden am Nachmittag werden meist zur Wiederholung von Vokabeln, dem Vorbereiten des Stoffes für die nächste Lerneinheit oder zusätzlichen Übungen für anstehende Klassenarbeiten genutzt, sodass die Kinder, wenn sie nach Hause kommen, auch wirklich fertig sind und ihre Arbeiten abgeschlossen haben und somit ohne Druck ihre Freizeit genießen können. Um das Prinzip einer Ganztagesschule gewährleisten zu können, wurde eigens für das ,Haus des Lernens‘ eine neue Mensa eingerichtet, in der die Schüler/innen ein warmes Mittagessen bekommen, das sie sich vormittags in den Pausen aus 6 Menüs aussuchen können. Wer das nicht möchte, bringt eigenes Essen von zu Hause mit oder beschäftigt sich im Aufenthaltsraum mit Tischfußball, Billard oder Tischtennis.
Doch auch wenn es nicht danach aussieht, die momentanen Gebäude des ,Haus des Lernens‘ sind bloß ein Provisorium. Während in diesem Jahr noch in der ehemaligen Schwimmhalle der Schule unterrichtet wird – die als solche nicht mehr wieder zu erkennen ist – werden in einem anderen Schulgebäude bereits die tatsächlichen Räumlichkeiten errichtet. Zusätzlich zu Input-Räumen und dem Lernatelier soll es Räume für Gruppenarbeiten oder Rollenspiele geben, aber auch ruhige Ecken, in denen sich ausgeruht oder gelesen werden kann. Auch wird über einen Raum für die Kinder nachgedacht, die die Konzentration im Atelier stören, in dem sie eine besondere Betreuung erfahren sollen, in der zunächst besprochen wird, aus welchem Grund der Schüler sich nicht an die Regeln gehalten hat und durch welche Maßnahmen man die Situation für Schüler und Lehrer verbessern könnte. Strafen sollen nicht oft verteilt werden, wichtiger sei, den Kindern die Einsicht für ihr Fehlverhalten zu vermitteln und ihnen so klar zu machen, warum sie mit einem Regelbruch nicht nur anderen, sondern auch sich selbst schaden. Für den Fall, dass es nicht möglich ist, diese Einsicht zu vermitteln, bleibt der Schüler vorerst in eben diesem Raum und fährt dort mit dem Erreichen seines Lernziels fort. Die vermehrte Raumzahl gewährt somit eine weitere Verbesserung der Lerneffizienz. Rainer Häfner erklärt das am Beispiel des Erlernens von Fremdsprachen wie Englisch, das zwar auch durch Auswendiglernen der Grammatik und der Vokabeln geschieht, aber insbesondere durch das Sprechen. Durch neue Räume könnte man noch differenzierter auf die Interessen und Bedürfnisse jedes Schülers eingehen, Klassen könnten zur gleichen Zeit englische Bücher lesen, englische Rollenspiele machen und Vokabeln lernen, ohne dabei den Lernprozess des anderen zu stören. Da mehrere Klassen gemeinsam unterrichtet werden (können), sind zu jeder Zeit auch mehrere Lernbegleiter/innen anwesend, die für Fragen zum Gelernten bereitstehen und sich um die ideale Lernatmosphäre kümmern. Fachkompetenz auf allen Gebieten ist zwar wichtig für jeden Lehrer, jedoch ist mit zusätzlichen Fachkräften natürlich auch eher gewährleistet, dass ein Experte aus dem entsprechenden Themenbereich darunter ist.
Bereits heute kümmert man sich sehr um die Stimmung und Erwartungshaltung der Schüler. Zweimal die Woche gibt es eine Art Klassenkonferenz, in der die bevorstehende oder vorhergehende Woche durchgesprochen und analysiert wird. In diesen Stunden werden außerdem Punkte für das (Lern-) Verhalten der Schüler/innen vergeben – auf einer Skala von 0 bis 6 ,sammeln‘ die Kinder Punkte um zu mehr Selbstständigkeit zu gelangen. Wer beispielsweise 45 Punkte erreicht hat, hat damit bewiesen, dass er (eigen-)verantwortlich und zielorientiert arbeiten kann und darf sich zukünftig von der Gruppe lösen und noch eigenständiger am Erreichen seiner Lernziele arbeiten. Denn dies und die Achtung der Individualität stehen beim ,Haus des Lernens‘ im Mittelpunkt. Die soziale Kompetenz der Kinder soll durch die pädagogische Arbeit gestärkt werden, die jungen Menschen sollen als kompetente und selbstständige Menschen in ein adäquates, erfolgreiches Leben entlassen werden.

Materialien für Lehrer und Schüler

Artikel: Carolin Kaiser

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