Erfurt

Ein Amoklauf erschüttert Deutschland

Erfurt, den 26. April 2002. Ort des Schreckens: Das Gutenberg-Gymnasium. Hier geschieht etwas, was niemand je erwartet hätte; etwas, was man in diesem Ausmaß bisher nur aus Amerika kannte. Ein ganz normaler Schultag endet in einer Katastrophe, in einem Blutbad, das nicht nur die Stadt, sondern ganz Deutschland erschüttert. Robert Steinhäuser, ein scheinbar ganz normaler Junge, reißt an diesem Tag 16 Menschen in den Tod. Danach richtet er sich selbst.

Tathergang

Man hat sich mittlerweile ein Bild davon machen können, wie die Tat von statten ging. Um 10:45 Uhr betritt Robert das Schulgebäude. Unmaskiert! Seine Waffen (eine Glock 17, 9mm und eine Pumpgun Mossberg 590 mit 20-Zoll-Lauf) trägt er in einer Sporttasche bei sich. In der Herrentoilette des Erdgeschosses zieht er sich um und streift eine Maske über. Von dort aus macht er sich auf den Weg ins Sekretariat, wo er auf seine ersten Opfer (die stellvertretende Direktorin und die Sekretärin) stößt. Sein Weg führt ihn weiter in den ersten Stock.

Er schießt einem Lehrer, der gerade dabei ist die Tür zu einem Klassenzimmer zu öffnen, in den Rücken und läuft weiter in Raum 105, wo er das nächste Blutbad anrichtet- das Opfer: der anwesende Lehrer. Auch sein Kollege, der sich auf Grund des Lärmpegels auf den Flur begibt, sinkt kurz darauf zu Boden. Davon keineswegs beeindruckt rennt der Täter weiter in Raum 205 des zweiten Stocks, hinterlässt hier jedoch keine weitere Leiche, da nur wenige Schüler und kein Lehrer anwesend sind. Stattdessen wendet er sich der Lehrerin im Flur zu, die kurz darauf ebenfalls tödlich verletzt am Boden liegt. Der Lehrkraft im nächsten Raum ereilt kurz darauf dasselbe Schicksal, während ihre Kollegin ein Klassenzimmer weiter durch ihr jugendliches Aussehen unter den Schülern unbemerkt bleibt. In den nächsten Minuten schießt er einen Stock höher auf zwei Lehrerinnen und eine unterrichtende Referendarin. Alle drei sind sofort tot. Schließlich kehrt er zu dem Klassenzimmer, in dem er die jugendliche Lehrerin übersehen hatte, zurück. Hier trifft er jedoch erstmalig auf eine verschlossene Tür. Aus Wut darauf, den Raum nicht betreten zu können, schießt er achtmal durch die Türe. Zwei Schüler sterben. Auch das nächste Klassenzimmer ist verschlossen. Er findet dennoch ein Ziel: Eine fliehende Lehrerin stürzt getroffen zu Boden. Offenbar verzweifelt und in Rage stürzt Robert auf den Hof und eröffnet dort das Feuer. Eine Frau wird dabei getötet. Als endlich die ersten Polizeibeamten anrücken, rennt der Täter zurück ins Schulgebäude, dennoch wird ein Polizist tödlich getroffen. Im Schulhaus trifft Robert Steinhäuser auf den Lehrer Heise. Diesem ist bereits bewusst, wen er da vor sich hat, als Robert die Maske abnimmt. Dennoch beweist er Mut: Mit den Worten: “ Du kannst mich jetzt erschießen“, schaut er dem Täter in die Augen. Und etwas Unglaubliches geschieht: Robert Steinhäuser, der Mensch, der bereits 16 Menschen tötete, senkt seine Waffe: „Herr Heise, für heute reicht es!“ Dieser fordert seinen ehemaligen Schüler daraufhin zu einem Gespräch in einem nahe gelegenem Raum auf. Steinhäuser folgt dieser Aufforderung. Als er das Klassenzimmer betritt, stößt Heise ihn hinein, sperrt ab und macht sich auf den Weg zu den Polizeibeamten. Robert Steinhäuser indessen schließt mit seinem eigenen Leben ab. Als die Polizisten den Raum betreten, finden sie den Leichnam des 19-Jährigen vor. Er beging Selbstmord, nahm zuvor jedoch 16 unschuldige Leben mit sich. Das ganze Drama dauerte nur 20 Minuten; 20 Minuten, die das Leben vieler Menschen für immer veränderten.

Die Frage nach dem „Warum“ bleibt

Besonders in Deutschland löst die Tat Entsetzen aus. Es herrscht Trauer. Schüler sind traumatisiert. Viele von ihnen mussten hilflos mit ansehen, wie Lehrer oder Mitschüler von der Kugel getroffen zu Boden sanken. Sie sind fassungslos, verzweifelt und alle beschäftigt nur eine Frage: Warum? Die wahre Antwort darauf kennt wohl nur Robert Steinhäuser selbst. Es lässt sich nur mutmaßen. Robert wächst in einer liebevollen Familie auf. Seine Mutter, sein Vater und auch sein Bruder sind immer für ihn da. Er wächst wie jeder andere Junge seines Alters auf. Erst in der Pubertät werden Veränderungen sichtbar: Robert ist mehr und mehr unzufrieden mit sich selbst und entwickelt sich zum Einzelgänger. Statt in Discos zu gehen und sich im Schwimmbad auszutoben, sucht er sich für einen Jugendlichen seines Alters ein eher ungewöhnliches Hobby: das Schießen. Sein Bruder erinnert sich: „Es gab vieles, in dem er nicht gerade glänzte, aber das konnte er richtig gut!“ Dennoch bricht die Vertrauensbasis mit seiner Familie nicht ab, auch wenn es hin und wieder zum Streit kommt. Die größten Streitpunkte sind vor allem sein übermäßiger Fernseh- und Computerkonsum, bei dem er sich mehr und mehr Schießspielen widmet, um sein Hobby auch in der virtuellen Welt ausüben zu können. Sein Vater erinnert ihn jedoch oft daran, dass diese Spiele nicht gut für ihn wären und sie in keinster Weise die Realität wiedergeben würden: „Du hast nur ein Leben, nicht zehn. Du solltest dieses ein Leben nutzen!“ Doch Robert hört nicht. Seine Noten verschlechtern sich immer mehr. Schließlich ist sogar seine Zulassung zum Abitur in Gefahr. Aus Angst zu versagen, fälscht er schließlich sogar ein ärztliches Attest, um nicht an einer wichtigen Prüfung teilnehmen zu müssen. Daraufhin folgt der Verweis. Den offiziellen Brief der Direktorin bekommt er am 9.10.2001. Sein Abgangszeugnis ist gefüllt mit Vieren und Fünfen, bestenfalls einer Drei. Seine Eltern erfahren von dem Verweis erst viel später, da Robert sich täglich, statt in die Schule zu gehen, in sein Lieblingscafe begibt. Es gibt mehr Streit denn je und als schließlich auch noch der Großvater im Sterben liegt, ist Robert endgültig am Ende. Er plant „das Ende“. Das Ende für sich und einige andere Menschen, die ihm den Verweis und somit die berufliche Perspektivlosigkeit eingebracht hatten. Seine Familie bemerkt davon nichts. Erst später finden sie die Hüllen für die Waffen in seinem Zimmer. Bereits zu spät!

Artikel: Katja Beck

Materialien für Lehrer und Schüler

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