Fleischlos glücklich?

„Wie, du isst kein Fleisch?“ Fünf Worte und ein völlig entsetzter Gesichtsausdruck meines Gegenübers. Wann immer ich erwähne, dass ich seit nunmehr 14 Jahren kein Fleisch mehr esse, reagieren meine Mitmenschen, als hätte ich eine Krankheit.

Dabei ist Vegetarismus in all seinen Facetten heute längst keine Randerscheinung mehr. Den Grundstein für die „Fleischlos-Diät“ legte der antike griechische Philosoph Pythagoras von Samos bereits vor mehr als 2500 Jahren. Der Begriff Vegetarismus kam im Jahr 1847 durch die Gründung der britischen „Vegetarian Society“ auf, die bis heute aktiv ist. Weltweit gibt es Schätzungen zufolge mehr als 100 Millionen Menschen, die in ihrer Nahrung auf Fleisch oder tierische Produkte verzichten. Allein in Deutschland haben sich mehr als sechs Millionen Menschen dafür entschieden, ihre Ernährung fleischlos zu gestalten. In Indien ernähren sich zwischen 15 und 20 Prozent der Bevölkerung vegetarisch, und die Zahlen steigen stetig an. Dönerbuden verkaufen Döner ,mit ohne Fleisch‘, McDonalds führt einen Gemüseburger auf der Speisekarte, und Schauspielerin Alexandra Neldel trällert fruchtgummikauend „Be Veggie!“ in die Kamera. So furchtbar selten und ungewöhnlich sind Vegetarier heute offensichtlich nicht mehr.

„Echt, nicht mal Fisch?“ Diese Frage folgt in den meisten Gesprächen. Ja, echt. Nicht mal Fisch. „Aber Eier isst du schon, oder?“ Nun, um es gleich einmal vorne weg zu nehmen – Es gibt kein Regelbuch darüber, was man essen darf und was nicht. Vegetarier sind keine Sekte, niemand wird geächtet, weil er das eine oder andere tierische Produkt isst oder eben nicht. Im Großen und Ganzen kann man die unterschiedlichen Ausprägungen des Vegetarismus in vier Einheiten untergliedern: „Ovo-lacto-Vegetarier“ verzichten auf Fleisch. Milchprodukte, Eier und ähnliche tierische Produkte werden in die Kost einbezogen. Die meisten Menschen, die sich als Vegetarier bezeichnen, leben und ernähren sich nach diesem Prinzip. Das Fleisch einfach aus dem Ernährungsplan zu streichen, bereitet den wenigsten langfristige Probleme; gegenwärtig sind quasi alle Produkte sowohl mit als auch ohne Fleisch erhältlich. Meiden Personen neben den Fleisch- auch die Milchprodukte, so bezeichnet man sie als „Ovo-Vegetarier“. Im Gegensatz dazu stehen die „Lacto-Vegetarier“, die zwar Milchprodukte aber keine Eier verzehren. Die Grenzen zwischen den einzelnen Untergruppen verschwimmen zumeist stark in Anbetracht der Stoffe, welche aus Resten von geschlachteten Tieren hergestellt werden: Schmalz beispielsweise. Oder Gelatine, die für die Herstellung von vielen Süßigkeiten verwendet wird. Als vierte Gruppe kann man die Veganer nennen. Im Grunde ist es falsch zu sagen, Veganismus bilde eine Untergruppe des Vegetarismus, denn genau genommen ist es in sich wiederum ein Überbegriff. Veganer verzichten auf jegliche tierische Produkte, und das zumeist nicht nur hinsichtlich ihrer Nahrung. So meiden Veganer oft all jene Waren, die durch Tierversuche getestet oder unterstützt wurden. Die vegane Kost ist, verglichen mit der vegetarischen, relativ aufwendig auszuleben. Essen in Restaurants oder Kantinen wird kompliziert bis unmöglich, da die Inhaltstoffe des Essens nicht oder nur in Teilen bekannt sind. Vermutlich sind auch deshalb weniger als 0,1% der Deutschen Veganer und bilden damit eine Minderheit unter den „Veggies“.

„Und warum isst du kein Fleisch mehr?“ Die Beweggründe hinter der Entscheidung einer Person, kein Fleisch mehr zu essen, sind extrem vielfältig. Sie sind meist vor allem abhängig von Heimatland und Kulturkreis, oftmals auch von Religion oder persönlichen Erfahrungen. Im europäischen Raum spielt momentan der ethische Aspekt die Hauptrolle. In Zeiten von Massentierhaltung und chemisch aufgeputschter Futtermittel ist artgerechte Haltung eine Seltenheit geworden. Und es wird diskutiert: Was bedeutet überhaupt „artgerecht“? Deutschland sattelt seit einem Beschluss im Oktober letzten Jahres von der Käfighaltung auf Bodenhaltung um. Schließlich hat ein Huhn in der Bodenhaltung statt Eisenstäben einen betonierten Grund unter seinen Beinen, und einen Kotkasten in mitten des Stalles gibt es auch. Gezielter Lichteinsatz regelt das Schlafverhalten der Tiere, und ihre gelegten Eier werden von einem automatischen Band aus dem Stall entfernt. Artgerecht, eben. Auch die nicht enden wollenden Skandale bezüglich unserer Nahrung tragen ihren Teil dazu bei, dass sich immer mehr Menschen entschließen, auf Fleisch zu verzichten. Gammelfleisch, Rinderwahn und überhöhte Dioxinwerte in Futtermitteln tauchen plötzlich wie aus dem Nichts in den Medien auf, füllen das Sensationsloch zwischen Parteitagen und Promischeidungen. Der Gesundheitsfaktor ist für viele deshalb auch ein Beweggrund, Vegetarier zu werden. Ob eine Ernährung mit oder ohne Fleisch gesünder ist, lässt sich pauschal nicht beantworten. Um gesund zu sein, muss die Ernährung eines Menschen ausgewogen an Fetten, Vitaminen und vielerlei Nährstoffen sein. Übermäßiger und mangelnder Verzehr bestimmter Nährstoffe wird sich in jedem Falle negativ auf den Körper auswirken – aber das gilt für jeden Menschen. Vegetarier neigen oft zu einem Eisenmangel, Menschen, die Fleisch essen, haben hingegen oft erhöhte Cholesterinwerte oder Vitaminmängel. Betrachtet man allerdings die Listen der Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker, wird deutlich, dass gesunde Ernährung heutzutage nicht mehr nur an dem reinen Produkt selbst, sondern zunehmend auch an seiner Herstellung und Verarbeitung festzumachen ist. Neben dem gesundheitlichen und dem tierrechtlichen Aspekt spielt in einigen Fällen auch die Religion eine Rolle. Insbesondere im Hinduismus und im Buddhismus sind Vegetarier weit verbreitet. So geben etwa 43 Prozent der gläubigen Hindus an, kein Fleisch zu verzehren. Im Buddhismus ist der Grundsatz der Gewaltlosigkeit durch die Lehre von Ursprung und Wirkung, dem Karma, tief verankert. Somit gibt es auch dort viele Gläubige, die vegetarisch oder vegan leben. Sogar in der christlichen Bibel gibt es einige Stellen, die als Aufforderung zum Vegetarismus gedeutet werden können. Kirche, Gesundheit, Moral und vieles mehr – die Gründe, kein Fleisch zu essen sind weit gefächert und sehr individuell.

„Stört es dich, wenn ich jetzt Salami esse?“, wird schließlich meist etwas zaghaft nachgehakt. Nun, ich kann selbstverständlich nur für mich selbst sprechen. Ich persönlich störe mich überhaupt nicht daran, dass die meisten Menschen in meinem Umfeld Fleisch essen und das auch genießen. Meistens denke ich überhaupt nicht darüber nach, dass ich „anders esse“. Kein Bekehrungsdrang flammt in mir auf, wenn es in der Schulmensa Schnitzel gibt. Allerdings auch kein Neid. Und für alle die, die sich fragen, wie man bloß fleischlos glücklich sein kann – und ob Tofu wirklich so schlimm ist – einfach mal im Selbstversuch ausprobieren. Viel Erfolg!

Artikel: Carolin Kaiser

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