Liebe Schülerinnen und Schüler,
„Woyzeck“ von Georg Büchner ist für euch beruhigend kurz, ist ja auch nur ein Fragment, also unfertig. Der Grund: Büchner starb 1837 im Alter von 23 Jahren in Zürich. Und die Kurzzusammenfassung klingt auch ziemlich simpel: Einem „armen Teufel“, der nichts außer seiner Geliebten und dem gemeinsamen Kind hat, wird diese von einem Sexprotz ausgespannt, woraufhin sie der verzweifelte Mann ersticht.
Was auf den ersten Blick inhaltlich recht banal daherkommt, hat einen deutlich tieferen Sinn. Büchner, promovierter Mediziner, ist ein kritischer Beobachter der sozialen Verhältnisse im „Vormärz“, einer revolutionären Literaturepoche. Er vertritt frühsozialistische Ideen, lehnt den „freien Willen“ ab und sieht den Menschen als Produkt seiner sozialen Verhältnisse. Diese determinieren ihn, sie machen ihn zu dem, was er ist und tut. Büchner geht es folglich nicht zentral um einen Eifersuchtsmord, sondern um die Frage der Schuldfähigkeit. Zu der erniedrigenden und ausgebeuteten Situation Woyzecks in der Gesellschaft kommen noch seine psychischen Probleme: Wahnvorstellungen und ängstigende Visionen.
Die fiktive Gestalt ist angelehnt an eine historische, die 1824 wegen eines Eifersuchtsmords hingerichtet wird. Die damaligen Diskussionen kreisen um die Frage der Zurechnungsfähigkeit. In zwei Gutachten wird der historische Woyzeck schuldfähig erklärt. Diese medizinischen Beurteilungen, die veröffentlicht werden, kennt Büchner genau und positioniert sich literarisch gegen Gutachten und Urteil.
Nun zum Inhalt: Franz Woyzeck ist ein einfacher Soldat mit kargem Lohn, muss aber für seine Geliebte Marie und das gemeinsame Kind sorgen. So hetzt er von einem Nebenjob zum nächsten, um das Geld zusammenzukratzen. Zunächst geht es zum Hauptmann – dick, behäbig, boshaft – ein Dummschwätzer, der seine Befriedigung in der Erniedrigung Woyzecks findet. Der Hauptmann kreidet ihm an, ein uneheliches Kind, also keine Tugend im Sinne der Kirche zu haben. Der nächste Nebenjob ist beim Doktor, der die Wirkung von neunzig Tagen ausschließlichem Erbsen-Essen anhand des Urins nachweisen möchte. Für ihn ist Woyzeck kein Mensch, sondern ausschließlich ein interessanter Fall, mit dem der Mediziner nach außen glänzen will. Ihm erzählt Woyzeck von den „zwei Naturen“ – die sichtbare eröffne ihm „tiefe Einblicke“ in verborgene Welten. Schon zu Beginn des Dramas nimmt er überall geheime Botschaften wahr, hat Visionen vom Jüngsten Gericht und sieht unter der Erde die Freimaurer am zerstörerischen Werk. Der Mediziner freut sich über Woyzecks geistige Verwirrung, sein „Fall“ bietet durch die einseitige Ernährung weitere sichtbare Deformationen, die man „vorführen“ kann.
Hauptmann und Doktor sind sich aufgrund ihrer diametral unterschiedlichen Welten feindlich gesinnt. Bei der Begegnung auf der Gasse beleidigen sie sich gegenseitig, gemeinsam hacken sie aber auf den vorbeihastenden Woyzeck ein, wobei der Hauptmann boshaft-lustvoll deutliche Anspielungen macht, dass Woyzecks Geliebte mit einem Tambourmajor fremdgeht. Dieser ist am Vortag an der Spitze seiner Militärkapelle durch die Straße gezogen. Der Tambourmajor „baggert“ als Sex- und Muskelprotz beim ersten Sichtkontakt Marie sofort mit eindeutiger Zielsetzung „an“, wobei Marie – sich ihrer Attraktivität bewusst – entschlossen ist, nichts „anbrennen“ zu lassen. Sie weiß sich gegenüber Woyzeck schuldig, hat auch kurz ein schlechtes Gewissen, aber der Trieb, die Natur, das unerfüllte Sehnen sind deutlich stärker. Woyzeck sieht an Marie neue Ohrringe, lässt sich aber von der schlagfertigen Geliebten „abspeisen“. Der Zweifel ist in Woyzecks Seele gelegt – Misstrauen, Angst, fast schon wahnhafte Verzweiflung nehmen in ihm immer größeren Raum ein. So geht er gezielt abends zum Wirtshaus, um seinen Verdacht zu überprüfen. Durch das Fenster beobachtet er Marie in wildem Tanz mit dem Tambourmajor und hört von ihr die antreibenden Worte: „immer zu, immer zu“. Diese hämmern in seinem Kopf, werden zu Wahnideen, und nachdem der Tambourmajor den schwachen Woyzeck am Folgetag niederringt und demütigt, entschließt sich dieser, seine Geliebte zu töten. Bei einem Juden kauft er sich ein Messer, zwingt Marie, mit ihm außerhalb der Stadt zu gehen, wo er sie ermordet. Da er sich beobachtet sieht, flieht er in ein Wirtshaus, gibt sich dort dem Tanz hin, aber die Blutspuren an seinem Arm verraten ihn. Er flüchtet erneut zum Tatort, nimmt das zurückgelassene Messer, wirft es in einen Teich und geht selbst hinein, um sich das Blut abzuwaschen. Zurück bei seinem Kind, betreut von einem Narren, wendet sich dieses intuitiv von ihm ab. Woyzeck hat alles verloren. Hier endet das Fragment, aber jeder weiß, es wird für Woyzeck schlecht ausgehen.
Selbst der größte Lesemuffel unter euch hat kein Argument, dieses kurze Werk nicht selbst anzupacken. Das Problem ist nicht der Inhalt, eher die Interpretation, die findet ihr auf meiner Homepage – seid beruhigt! Zunächst aber ‘mal: lesen!
Klaus Schenck
Als PDF (Schulmaterial-Homepage):
- Inhalt in Briefform: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f34-02-buechner-woyzeck-brief-inhalt-kopfzeile.pdf
- Interpretation in Briefform: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f34-03-buechner-woyzeck-brief-interpretation-k.pdf
Mein Schul-Resümee: Auf den Lehrer kommt es an!
Powertypen, resigniert nicht, ihr seid das Salz der Schule! Wenn dieses Salz fad wird, wovon soll die Schule leben, wovon die Schüler zehren – und wovon ihr selbst?
- Schülerwunsch: „Handyfreier Unterricht!“ (Schülerzeitungsartikel): https://www.schuelerzeitung-tbb.de/schuelerwunsch-handyfreier-unterricht/
- „Ich sprech‘ hinein in den Interessenstod“ – Lehrergedanken vor der Klasse (Grammatikarbeit): https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-6-grammatikarbeit.pdf
- Motivierende Leistungsschule als Ziel – Abrechnung mit Billig, Banal, Blöd: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-2-endartikelsk-2.pdf
- Abschiedsrede vor dem Kollegium: „Zwischen Lehrerglück und Engagement-Tod“: ehrlich, persönlich, kritisch – ein Lehrerleben der Extreme: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-8-abschiedsredekollegium.pdf
- „Faule Säcke, werdet Lehrer!“ – Populismus gegen den Lehrerberuf durch das Kultusministerium: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/faule-saecke-aller-laender-werdet-lehrer-in-baden-wuerttemberg/
- Werbung für den Psychologie-Unterricht als Freiraum für junge Menschen – besonderer Schwerpunkt: „Magersucht + Essstörungen“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/werbung-fuer-den-psychologie-unterricht-als-freiraum-fuer-junge-menschen-besonderer-schwerpunkt-magersucht-essstoerungen/
- „Lehrerbuch“ als Hybrid-Lektüre (Printausgabe, Hörbuch und Internet): Klaus Schenck: „Vom Engagement-Lehrer zum Lehrer-Zombie“. Bange-Verlag, 16 € Mit diesem Buch schrieb ich mich in die Lebensfreude zurück, Flyer: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f02-buch-1.-flyer-ueberblick-internet.pdf oder als Animation: https://www.youtube.com/watch?v=woFEVPALHUQ
Materialien für Lehrer und Schüler
- Alle Abi-Materialien auf einen Blick: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/abi-vorbereitung/ , Rückmeldungen zu den Abi-Sendungen: https://www.klausschenck.de/ks/deutsch/index.html und Power-Paket für Abi-Entschlossene: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/gesamt-strategie-fuer-abi-kaempfer/
- Werbung für den Psychologie-Unterricht als Freiraum für junge Menschen – besonderer Schwerpunkt: „Magersucht + Essstörungen“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/werbung-fuer-den-psychologie-unterricht-als-freiraum-fuer-junge-menschen-besonderer-schwerpunkt-magersucht-essstoerungen/
- „Die Stillen in der Schule“ – Ermutigung + Strategien bei Introversion – zum Lesen, Ausdrucken und Anhören: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-1-vom-glueck-der-introversion/
- „Jugend im Selbstspiegel“ – eigene Texte mit Zeichnungen, präsentiert in einer öffentlichen Lesung: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/der-mensch-mit-dem-schizophren-denkenden-herzen-und-der-verwirrten-seele/
- „Handy, Schule und unser Gehirn“, neurologisch-psychologische Forschungsergebnisse in Blick auf Handys und soziale Medien: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/alle-vorsaetze-sind-fuer-den-arsch-wenn-man-sich-nicht-daran-haelt/
- „Handyverbot an Schulen – und alle haben ein Problem weniger!“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/handyverbot-an-schulen/
- „Die Macht der Disziplin“ – diszipliniert → erfolgreicher, stressfreier und glücklicher: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/disziplin-erfolgsfaktor-in-der-schule-einfuehrung/
- „Schülerzeitungsermutigung“ (22 Artikel) – Rückblick, Tipps und Strategien für Schüler-Freiraum: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/redaktionsgroesse-zwei-pizza-regel/
- „Faule Säcke, werdet Lehrer!“ – billiger Populismus gegen den Lehrerberuf durchs Kultusministerium: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/faule-saecke-aller-laender-werdet-lehrer-in-baden-wuerttemberg/
Für 2025: Nicht piensen + klagen → anpacken + tun!
Für ukrainische Jugendliche habe ich meine Internetplattform zur Verfügung gestellt. Gleiches wollte ich jüdischen Jugendlichen anbieten und mailte alle jüdischen Gymnasien an – bis jetzt ohne Antwort. Mir wäre wichtig gewesen, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen. Ich bereite für Oberstufenschüler kostenlos im Internet die aktuellen Deutsch-Abi-Werke vor, schreibe für das städtische Mitteilungsblatt und ein Infoblatt in Arosa und als Pressewart für unseren Tennisclub. Alles nichts Weltbewegendes, aber es ist ein konkretes Tun, ein konkretes Engagement, ein konkreter Dienst für andere. Das nimmt mir das sinnlose Grübeln, Ängstigen und Verzweifeln an einer Welt, der ich mich hilflos ausgeliefert fühle.
Für 2025: Träumen, Wollen, Tun, Bekommen!
Klaus Schenck
„Gebt nicht auf! Für den Triumph des Bösen braucht es nur eines – die Untätigkeit der Guten.“ (Nawalny)