Liebe Schülerinnen und Schüler,
hier nur einige Interpretationssplitter, zu mehr reicht der Platz nicht. Die zentrale Information: Bei Büchners Werk handelt es sich um ein Fragment, das erst mühsam aus verschiedenen Handschriften zusammengesetzt werden musste, dazu kam noch Büchners fast unleserliche Schrift. Kurz, es ist unfertig und letztlich im Aufbau nicht hundertprozentig gesichert. Folglich ist eine Zeiteinteilung schwierig. Eine Möglichkeit von mehreren: 1. Tag: Stöckeschneiden, Musikkapelle mit Tambourmajor zieht in die Stadt ein, wahrgenommen von Marie, am Abend auf die Messe, erste Begegnung mit Tambourmajor. 2. Tag: Tambourmajor schenkt Marie Ohrringe, erster Verdacht Woyzecks, Hauptmann-Szene, erneut Tambourmajor – fast von Woyzeck überrascht, dieser macht Marie Vorwürfe, Doktor-Szene, Hinweis des Hauptmanns auf Maries Fremdgehen, Woyzeck geht am Abend gezielt ins Wirtshaus, wo er Marie bei intensivstem Tanz mit dem Tambourmajor beobachtet. 3. Tag: Demütigung Woyzecks durch Tambourmajor, Kauf des Messers, Woyzeck verteilt seine Habseligkeiten an Andres, verlässt am Abend mit Marie die Stadt, ihre Ermordung, Woyzeck im Wirtshaus, zum Tatort zurück, um das Messer in den Teich zu werfen und sich das Blut abzuwaschen, die Leiche wird entdeckt.
Bei den Personen fällt auf, dass einige Namen haben, sie werden individuell gezeichnet, diese Gruppe steht durchgehend für die Unterschicht; bei anderen wird nur die Berufsbezeichnung genannt, sie werden als Funktionsträger der Gesellschaft karikiert, die Woyzeck unterdrücken, demütigen und ihn seiner Würde berauben. Unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen ist keine individuelle freie Entscheidung – laut Büchner – möglich, wie sie der Hauptmann fordert, sondern der Einzelne ist sozial determiniert, folglich ein Produkt seiner gesellschaftlichen Situation. Bei Woyzeck kommt noch erschwerend hinzu, dass er ein Kind hat, in „wilder Ehe“ – außerhalb der kirchlichen Normen – lebt, für Frau und Kind neben seinem Soldatenberuf Nebenjobs annimmt, um so ihr Überleben finanziell halbwegs zu sichern. Zusätzlich verstärkt die Erbsendiät Woyzecks Psychose.
Der Hintergrund für das Werk Büchners ist der historische Woyzeck: ehemaliger Soldat, sozial komplett abgestürzt mit ständigen Wahnideen, der seine Geliebte ermordet. Zentraler Streitpunkt – die Schuldfähigkeit. In zwei medizinischen Gutachten voll schuldfähig erklärt – Begründung: menschliche Willensfreiheit – folglich Hinrichtung. Gegen diese Begründung des Gutachtens und damit auch gegen das Todesurteil schreibt Büchner sein Werk. Es ist eine „Gegenschrift“ in literarischer Form. Diese wird dem „Vormärz“ zugeordnet aufgrund der frühsozialistischen Ausrichtung – auf Woyzeck bezogen: seinem Mord geht ein soziales Verbrechen – Armut, Ausbeutung, Entmenschlichung – voraus. Der Mord ist folglich nicht der haltlosen Persönlichkeit Woyzecks geschuldet, sondern den gesellschaftlichen Bedingungen, die ihn zum Mörder machen.
„Windschiefe Dialoge“ durchziehen das Werk, es gibt keine Verständigung, die Menschen reden aneinander vorbei, sie monologisieren letztendlich nur. Folglich passen die Regeln des klassischen Dramas, das auf Dialogen beruht, nicht mehr. Die Sprache hat in diesem sozialen Drama die Funktion der Machtausübung gegenüber Woyzeck durch den Hauptmann und den Doktor. Die Sprachlosigkeit hat Büchner geschickt gelöst. So werden die Regieanweisungen episch, also erzählend, sie sagen, was die Person tut. Die Selbstinterpretation des Stückes geschieht bei den „Sprachlosen“ über Volkslieder, ganz besonders aber durch das Märchen der Großmutter, das einen epischen Teil an zentraler Stelle – kurz vor dem Mord an Marie – in das Drama bringt und so die Weltsicht Büchners erklärt und den weiteren Werkverlauf andeutet.
Alle gesellschaftlich Geächteten sind sich ihrer Lage bewusst: „Wir arme Leut“, „ich bin ein armer Kerl“, „ich bin nur ein arm Weibsbild“, „bist doch nur en arm Hurenkind“ usw. Sie haben die Normen der Gesellschaft verinnerlicht. 4. Szene: Marie (allein nach einer Pause) Ich bin doch ein schlecht Mensch [= Hure]. Ich könnt mich erstechen. – Ach! Was Welt? Geht doch alles zum Teufel, Mann und Weib. Und so geschieht es am Ende auch – durch Woyzeck und mit Woyzeck. „Alles tot“, so die Großmutter im Märchen, die Welt ist ein umgestürzter Nachttopf, „da sitzt es [das Kind] noch und ist ganz allein“ – so die Gesamtaussage des Werk-Fragments.
Betrachtet das Werk als Denkanstoß, aber als ein Ansatz unter verschiedenen! Mein psychologischer Ansatz unterscheidet sich in der Deutung diametral von Büchner. Findet eure Deutung – vom Werk, aber auch zu freiem Willen, Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit des Individuums – im Dienst für andere!
Stellt euch den interessanten Fragen, die eure Selbst- und Weltsicht bedingen!
Klaus Schenck
Als PDF (Schulmaterial-Homepage):
- Inhalt in Briefform: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f34-02-buechner-woyzeck-brief-inhalt-kopfzeile.pdf
- Interpretation in Briefform: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f34-03-buechner-woyzeck-brief-interpretation-k.pdf
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