Hospiz – Wie der Mensch sich selbst hilft, um anderen eine Hilfe zu sein – Der Tod, das Leben und das Ich

Vorwort: Hospiz – Ein Begriff, den jeder schon einmal gehört hat, bei dem jedoch keiner genau weiß, worum es sich bei diesem äußerst wichtigen Wort handelt. Ursprünglich wird das Wort „Hospiz“ aus dem Lateinischen hergeleitet. „Hospitium“, zu Deutsch „die Herberge“ oder auch „die Gastfreundschaft“.
Dieser Begriff hatte schon in frühsten Zeiten etwas mit Hilfe, Schutz und Geborgenheit zu tun.
Nun zu unserer Religionsstunde:
Der stellvertretende Schulleiter, Studiendirektor Albrecht Rudolf, begrüßte den Gast Birgit Zagatta, Hospizarbeiterin und betonte die Bedeutung dieser Doppelstunde der Klassen 12 in evangelischer Religion.
Ein besonderer Dank gelte dem Initiator dieser eindrücklichen Stunde, Oberstudienrat Klaus Schenck. Es sei wichtig, dass die Welt von außen in die Schulwelt geholt werde, worum sich Schenck immer wieder erfolgreich bemühe. Dieses Engagement mache lebendige Schule aus.
Dann wünschte Studiendirektor Rudolf dieser besonderen Unterrichtsidee viel Erfolg.
Wir als moderne Menschen haben heute eine viel weiter reichende Vorstellung, was den Hospizgedanken betrifft.
Die gegenwärtige Idee der Hospizarbeit entstand durch die Ärztin Cicley Saunders in London.
Ihr Gedanke war, dass jeder Mensch ein würdiges Sterben verdient habe und dessen letzte Lebensphase, so wie es damals selten der Fall war, nicht von Leid geprägt sein solle.
Dieses auch heute noch häufig diskutierte – und Hemmungen hervorrufende Thema – befasst sich mit dem Tod, dem Sterben, der Trauer, dem Verlust und mit der eigenen Vergänglichkeit des Menschen, aber auch mit den Bedürfnissen und der Würde eines Sterbenden, mit Gemeinsamkeit, der Bewältigung von Trauer in der Familie und vor allem in der Gemeinschaft. Der Hospizgedanke setzt Zeit voraus. Zeit, um zu fühlen und zu denken, Entscheidungen zu treffen und Gespräche zu führen. Diese Aspekte vernachlässigen wir in unserem Leben zu häufig.
Diese Zeit braucht der sterbende Mensch, um selbst entscheiden zu können, wann er gehen möchte, wie er Abschied nehmen möchte und ob er für sich selbst alles geklärt hat, um ohne Sorgen würdig „Lebe wohl“ sagen zu können.
Im Gegensatz zu damaligen Zeiten wird der Tod heute mehr als natürlicher Vorgang angesehen.
Ob altersbedingt oder durch Krankheit hervorgerufen, jeder wird einmal sterben müssen und wünscht man sich dann nicht auch einen schönen Tod im Kreise derer, die man liebt, und an dem Ort, wo man das Gefühl von Geborgenheit spürt?
Diesen Wunsch verspüren viele Menschen, denn das Einzige, was wir nicht kontrollieren können, ist, wann wir gehen müssen, ob jung oder alt, krank oder gesund, keiner weiß, wann seine Zeit gekommen ist.
Deshalb gab Birgit Zagatta, tätig in der Hospiz- und Sterbebegleitung im Main-Tauber-Kreis, einer kleinen Runde von Schülern der Klasse 12 im Fach der evangelischen Religion des Wirtschaftsgymnasiums Tauberbischofsheim einen Einblick in das Hospizgeschehen und das, was man erleben, empfinden und auch über sich selbst herausfinden kann, wenn man Verlust am eigenen Leibe erfährt, aber versucht offen damit umzugehen, möglicherweise anderen mit eigenen Erfahrungen helfen kann und sich mit seiner Trauer auseinandersetzt.
„Vor vier Jahren ist meine eigene Mutter an Leberkrebs gestorben und das hat mich dazu bewegt eine Hospizausbildung zu beginnen“, berichtet Frau Zagatta den Schülern.
Frau Zagatta spricht auch den Punkt an, den kein Mensch gerne hört, nämlich denn Aspekt, dass es jeden treffen kann. Und dann?
Die Mehrheit, die einen plötzlichen Verlust hinnehmen muss, verkraftet diesen oft nicht und versucht Schmerz und Trauer zu verdrängen.
Das eigene Zerbrechen daran zeigt sich deutlicher und deutlicher, wenn wir direkt damit konfrontiert werden einen geliebten Menschen verloren zu haben.
Auch nach vielen Jahren kann dieser eine Verlust immer noch nicht verarbeitet sein und das eigene Leben zerstören.
Birgit Zagatta erzählt von ihrer Situation und dem Umgang mit ihrer kranken Mutter, aber auch über das Geschehen und Empfinden in der Familie.
„Wie gehe ich mit meiner strebenden Mutter um?
Wie bereite ich mich und meine Familie auf den Tag ihres Todes vor?
Wie werde ich reagieren, wenn es soweit ist?“
Das waren Fragen, die sich bei Frau Zagatta anfangs stellten und sich jedem anderen in dieser Situation auch stellen würden. Mancher fragt sich sogar, ob man sich überhaupt vorbereiten kann.
Das Wichtigste ist mit dem Menschen in Frieden zu sein, bevor er „geht“.
Trennendes, Differenzen oder Sorgen kann man in Gesprächen, wo Zeit keine Rolle spielen darf, da Sterbende in der letzten Lebenszeit möglicherweise sensibel sein können und Aufregung eher negative Wirkungen hätte, klären.
Zeit ist das Schlüsselwort!
„Man sollte einem kranken, sterbenden Menschen nie das Gefühl geben eine Belastung zu sein oder ihm zu signalisieren, dass man keine Zeit für ihn hat“, sagt Frau Zagatta.
Wenn ein Streit entsteht, sollte dieser noch, auch wenn es am letzten Tag ist, geklärt werden. Man nimmt demjenigen, der „geht“, die Last ab, die ihn vielleicht daran hindert, sorgloser zu sterben.
Ein Mensch, der sterben wird, ist trotzdem noch als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zu betrachten.
Deshalb sollte man nie Gespräche mit anderen, zum Beispiel mit Familienmitgliedern, führen, die den Sterbenden selbst betreffen.
Dies passiert häufig ohne böse Absicht, jedoch kann es den Betroffenen kränken oder verletzten und somit auch wieder eine Last für ihn in seiner letzten Lebensphase darstellen.
„Der Sterbende hört alles“, erklärt Frau Zagatta den Schülern.
In der Zeit, die wir als Angehörige oder als Sterbebegleiter mit der sterbenden Person verbringen, sollten wir vollständig auf die Wünsche, Bedürfnisse und auch auf die Verhaltensweisen eingehen, die die Person uns zeigt.
Gerade ältere Menschen haben Angst vor der Einsamkeit und suchen Hilfe.
Man kann helfen, indem man, wenn die sterbende Person es zulässt, spricht, betet, singt oder auch einfach nur da ist und schweigt.
Berührungen wie ein Streicheln oder einfach nur ein Handauflegen zeigen der Person in dieser, für sie letzten Zeit, dass sie nicht allein ist und dass es Menschen gibt, die für sie sorgen und sie unterstützen.
Das ist oftmals eine Erleichterung, da keiner gerne allein ist, wenn es um die letzten Tage, Stunden oder Minuten geht.
In manchen Fällen, so Frau Zagatta, kann es jedoch auch ein Hindernis darstellen, wenn die Angehörigen immer da sind.
Beispielsweise sterbende Kinder können in manchen Fällen erst dann „gehen“, wenn die Eltern nicht im Raum sind, da sie möglicherweise Schuldgefühle entwickeln, weil die Eltern ihrem eigenen Kind beim Sterben „zusehen“ müssen. Es ist einfacher für sie „Lebe wohl“ zu sagen, wenn sie alleine sind. Der Tod und auch das Sterben ist für jeden Menschen ein individueller Prozess.
Wir können nicht beeinflussen, an welchen Tag wir sterben oder wie alt wir sein werden, aber man kann als Sterbender Hilfe bekommen, um würdig von dieser Welt zu „gehen“.
Für die auf der Erde zurückbleibenden Menschen wird ist es nie einfach sein loszulassen, doch auch Angehörige und Freunde können in dieser schweren Zeit Hilfe durch die Hospiz- und Sterbebegleitung bekommen.
Alle Menschen, die einen Verlust erlitten haben, haben das Recht offen zu trauern, zu weinen und Emotionen zu äußern.
Dieser Punkt gehört genauso zur Sterbebegleitung und zum Hospizgedanken wie die Begleitung in den Tod.
Natürlich beschäftigen sich die Hospizarbeiter und -arbeiterinnen auch mit dem Versuch manchen Angehörigen die Angst vor dem Sterbenden selbst zu nehmen und auch davor, ihn anzusehen, wenn der Tod eintritt, denn selbst in den letzten Minuten kann der Sterbende bemerken, was in seinem Umfeld passiert, und dies somit eine Beeinflussung auf sein Sterben darstellen. In dieser Situation des Abschiedes ist es für Familie und Freunde meist schwer die Fassung zu wahren und jeder reagiert so, wie er seine Emotionen äußern kann.
“ Es gibt vier Grundtypen, die ich kennen gelernt habe, wenn es um Trauerbewältigung geht. Den „Tuer“, den “ Vermeider“, den „Fühler“ und den „Denker“, erläutert Birgit Zagatta.
Der „Tuer“ versucht sich abzulenken, indem er das macht, was ihn sonst auch auf andere Gedanken bringt.
„Vermeider“ möchten das, was geschehen ist, nicht verstehen, das heißt, der Verlust ist so groß, dass sie daran zerbrechen und, um dies zu verhindern, verdrängen sie diesen.
„Der Fühler“ lässt seinen Emotionen freien Lauf. Er weint, schreit und zeigt offen Trauer.
„Denker gehen gar nicht darauf ein, was passiert ist, sondern versuchen alle Vorkehrungen, die nun getroffen werden müssen, zu regeln, wie zum Beispiel die Beerdigung planen, was auch eine Art sein kann, Trauer zu bewältigen und dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.
Jeder Mensch hat seine Eigenheiten und somit auch seine eigene Art mit Verlust, Schmerz, Trauer und Abschied umzugehen. Jedoch sollte man seine Gefühle nie verstecken, da dies oft schlimmer sein kann als die eigentliche Zeit des Trauerns um den Menschen, der nun nicht mehr da ist.
Denn welcher Mensch trauert sein Leben lang, ohne irgendwann daran zu zerbrechen?
Früher oder später wird die Trauer Jeden, der den Tod eines geliebten Menschen miterlebt hat, einholen und damit die eigene Psyche und Seele grausam „verletzen“.
Die Zuhörer zeigten mit interessanten und ergreifenden Beiträgen ihre eigenen Erfahrungen mit den Themen Tod, Verlust und -Sterben und bewiesen damit, dass ein offener Umgang mit der in manchen Fällen immer noch als “ Tabu-Thema“ bezeichneten Hospiz- und Sterbebegleitung hilft selbst schmerzliche Erfahrungen besser zu verarbeiten und auch Selbstschutz vor dem Zerbrechen an einem Verlust zu fördern.
Karin Blevins-Redlich, eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes, zeigte auch anhand ihrer Erlebnisse zum Thema „Verlust“, warum Hospiz- und Sterbebegleitung so wichtig für unsere Gesellschaft ist.
„Ich habe in meinem Leben einige Verluste erlitten, die ich für mich nie aufarbeiten konnte, weil ich mir selbst nicht die Chance gegeben habe und nun betreue ich auch eine sterbens-kranke Frau, die eines Tages von uns gehen wird.
Um sagen zu können, dass ich für sie – und auch für mich selbst – alles Erdenkliche getan habe, die letzte Zeit zusammen angenehm gestaltet zu haben und vorbereitet zu sein, habe ich mich entschlossen eine Hospizausbildung zu machen“, erklärte Frau Blevins-Redlich.
Man muss nur den Mut haben offen Trauer zu zeigen und man wird Hilfe finden, denn jeder Mensch wird in seinem Leben einmal der Betroffene sein, ob als Angehöriger oder als Sterbender.
Am Ende dieser Doppelstunde der Nachdenklichkeit und der sehr persönlichen Berichte der Schüler dankte Religionslehrer Klaus Schenck Lisa Redlich für die Organisation dieses Treffens, den Gästen Birgit Zagatta und Karin Blevins-Redlich für ihr Kommen.
Ihre Berichte hinterließen bei allen Spuren der Eindrücklichkeit. Auch die Aussage einer Schülerin am Schluss, diese Veranstaltung müsse doch eigentlich für alle Schüler verbindlich werden, unterstreicht die Tiefe des Gesprächs.

Artikel: Lisa Redlich

Materialien für Lehrer und Schüler

Weitere Artikel zum Thema