Interview über den Briefwechsel mit Inhaftierten

Vor etwa einem Jahr ist meine Interview-Partnerin, Linda, im Internet auf eine Seite gestoßen,  die zum Tode verurteilte Inhaftierte aus aller Welt mittels Steckbriefen vorstellt, um Brieffreundschaften zu vermitteln – (ähnliche Seite:  http://www.initiative-gegen-die-todesstrafe.de/brieffreunde.html).

Kurzerhand hat sie sich entschieden einen Inhaftierten aus Texas anzuschreiben, obwohl sie sich darüber im Klaren ist, dass sie wahrscheinlich schon bald wieder Abschied nehmen muss.

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Was waren deine Beweggründe, eine solch außergewöhnliche Brieffreundschaft einzugehen?

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Linda: Dazu entschlossen habe ich mich, weil ich zur Todesstrafe schon immer eine zwiespältige Meinung hatte. Grundsätzlich finde ich, dass sich der Mensch nicht über das Leben erheben sollte, sprich, bestimmen darf, ob er eines beendet oder nicht. Andererseits frage ich mich, was ich denken würde, wenn ich in folgender Situation wäre: Ein Mann bringt eines meiner (zukünftigen) Kinder um, vergewaltigt es oder tut ihm etwas ähnlich Schreckliches an. Wie würde ich dann darüber denken?

Erzähl doch mal, wie du zu deinem Briefpartner gekommen bist. Wie laufen die Vermittlung und der Briefwechsel ab?

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 Linda: Ich habe zuerst zwei Insassen angeschrieben. Von einem erfuhr ich, kurz nachdem ich ihm geschrieben hatte, dass er ein 11-jähriges Mädchen vergewaltigt und getötet hatte. Ich hätte mich früher informieren müssen, das weiß ich jetzt, aber als die Antwort von ihm kam, konnte ich ihm nicht zurückschreiben. Das konnte ich einfach nicht mit mir vereinbaren.

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Der Andere ist wegen Mordes an einer Frau inhaftiert, da sind die Umstände jedoch seeehr zweifelhaft, ich habe mir die Protokolle des Verhörs  mehrerer Zeugen durchgelesen (die USA nehmen es mit derartigen Unterlagen wohl nicht so enge…ich habe alles ruckzuck im Internet finden können) und bin der Meinung, er sitzt nicht rechtens in Haft. Die Todesstrafe ist bei ihm absolut „unangebracht“, um es milde auszudrücken.

Ich bin, wie gesagt, durch eine Internetseite an seinen Steckbrief und die Adresse gelangt, habe ihm einfach geschrieben, er hat geantwortet und seitdem geht es hin und her. Wir kommen auf ca. einen Briefwechsel pro Monat, da die Briefe in etwa 14 Tage unterwegs sind.

Was hast du in deinem ersten Brief geschrieben?

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Linda: Ich schrieb, dass ich seinen Steckbrief gelesen habe und ihn gleich sympathisch fand, ein paar Informationen über mich und fragte, ob er überhaupt an einer Brieffreundschaft mit mir interessiert sei. Es gibt zum Beispiel auch viele Insassen, die keine Brieffreundschaften zu Frauen wollen, da manche Frauen dazu neigen, die ganze Sache zu „romantisieren“. Ich meine, die Frauen verfallen den Gefangenen regelrecht, sobald sie wissen, was diese getan haben. Es scheint dann wohl dieses „nur ich kann zu ihm durchdringen und seine gute Seite entdecken“-Denken zu sein.  Letztendlich sind sie dem  Insassen aber kein Freund im eigentlichen Sinne.

Hattest du anfangs Zweifel oder Sorgen? Falls ja, weshalb und haben sie sich teilweise bestätigt?

Linda: Natürlich hatte ich  Zweifel. Ich war mir unsicher, ob ich das wirklich dauerhaft durchziehen kann, ich es schaffe, regelmäßig zu schreiben etc.

Zweimal ist es mir passiert, dass er länger warten musste als üblich, was mich belastet hat. Nach einer Weile fühlt hat man schnell ein schlechtes Gewissen, wenn man nicht sofort antworten kann.

Das heißt, du fühlst dich ein stück weit für ihn verantwortlich?

Linda: Nein, verantwortlich fühle ich mich nicht richtig. Er ist ja ein Erwachsener und letztendlich fremder Mann, aber man fühlt  sich zumindest schon ver“pflichtet“ zu schreiben.

 

Wie hat deine Familie oder generell dein Umfeld darauf reagiert, dass nun Briefe von einem potenziellen Straftäter in dein Haus flattern?

Linda: Meine Eltern sehen das locker und nennen ihn scherzhaft „meinen Knasti“. Das finde ich zwar nicht so prickelnd, aber immerhin reden sie mir nicht in die Sache hinein. Mein fester Freund hat es zuerst abgelehnt, aber nach einer Weile fand er es in Ordnung.
Heute rede ich öfters mit ihm über die Briefe und die unfassbaren Methoden des Staates Texas….

Willst du auf diese Methoden näher eingehen?

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Linda: Ich meine zum Beispiel, dass er selbst noch nie seinen Anwalt gesehen hat, der ihm zwar vom Staat zugeteilt wurde, aber es kümmert diesen Anwalt leider herzlich wenig, was aus  ihm wird. Ohne genügend Geld geht da gar nichts. Mir kommt das so vor, als wären die Beamten einfach froh einen Schuldigen zu haben:  ab hinter Gitter – Fall abgeschlossen. Es ist, als sei das Interesse am wirklichen Klären des Falles nicht vorhanden.

 

Fällt es dir nicht schwer Themen zum Schreiben zu finden, da ihr in völlig verschiedenen Welten lebt?

Linda: Wir unterhalten uns oft über Musik und meinen Alltag. Ich erzähle ihm Dinge, die ich erlebe, aber denke mir immer, ob es ihm nicht wehtut, wenn ich so von meinem freien Leben berichte. Er sagt allerdings, er freue sich darüber dies zu lesen, da es für ihn eine Art Ablenkung darstelle.

 

Wie lange musst du auf die Antwortbriefe warten und wie viel Zeit nimmt dieses Engagement in Anspruch?

Linda: Viel Zeit nimmt das Ganze grundsätzlich nicht in Anspruch, aber die Ruhe zu finden, um zu antworten, ist manchmal schwer. Dann schiebt man es vor sich her und bekommt von Tag zu Tag ein schlechteres Gewissen.

Wie stellst du dir euren weiteren Kontakt vor?

Linda: Ich könnte mir definitiv vorstellen über das Schreiben hinauszugehen, ihn sogar zu besuchen. Ich habe keine Angst vor ihm, da ich ihn, wie bereits gesagt, nicht für einen Wahnsinnigen halte.

Stellt ein solcher Besuch für dich nicht auch eine Belastung dar?

Linda: Es wäre keine Last für mich, sondern eine, wie ich denke, wertvolle Erfahrung..

Wird es schwer für dich sein, falls er zum Tode verurteilt werden sollte?

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Linda:  Zum Tode verurteilt ist er schon seit 12 Jahren… Die letzte Berufung gegen das Urteil ist eingelegt und es wird wohl nicht mehr sehr lange dauern. Als er mir das erzählt hat, hat es mich wie ein Schlag getroffen, obwohl ich eigentlich darauf vorbereitet war, schließlich wusste ich, dass er zum Tode verurteilt ist.

Worauf muss man deiner Meinung nach achten, wenn man beschließt Kontakt aufzunehmen?

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Linda:  Meiner Meinung nach gibt es nicht viel, was man beachten muss. Nur hat jedes Gefängnis eigene Regeln bezüglich des Briefwechsels, nach diesen habe ich auch im ersten Brief gefragt. Ich darf ihm zum Beispiel keine Zeitschriften oder Bücher, Filme schicken.

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Man sollte es einfach ernst meinen, mit ehrlichem Interesse dabei sein und es nicht aus Mitleid tun. Das brauchen die Insassen nicht, sondern der soziale Kontakt ist das Wichtige.

Weiter ist es wichtig, dass du bei der Kontaktaufnahme bereit volljährig bist, da alles andere auf Probleme für den Inhaftierten mit sich bringen kann.

Von Linda inspiriert habe ich begonnen über die Todesstrafe nachzudenken und einen Brief auf den Weg nach Pennsylvania geschickt. In dieser ersten Phase plagt mich die Sorge, ob ich etwas Falsches geschrieben haben könnte oder der Empfänger vielleicht nicht mehr die Möglichkeit bekam meinen Brief zu lesen. Während Linda an meine Geduld appelliert, bleibt für mich nur die Hoffnung, dass das Ausstehen einer Antwort auf die Gnade eines Richters zurückzuführen ist. 

 

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