Liebe Schülerinnen und Schüler,
ich gehe jetzt mal davon aus, dass ihr den Inhalt halbwegs im Griff habt, sonst hat die Interpretation natürlich keinen Sinn. Ihr werdet euch nun fragen, was gibt es da zu interpretieren, alles ist doch so langweilig klar. Urteilt nicht vorschnell! Aus der Sekundärliteratur nehme ich fünf Interpretationsansätze und beschreibe ausführlicher den psychoanalytischen und den gendertheoretischen Ansatz.
Der literaturgeschichtliche Ansatz untersucht das Verhältnis von Epoche und Werk. Die Romantik betont stark das deutsche Mittelalter mit der christlichen Religion gegen das antike Heidentum. Auch die Übergänge zwischen Realität und Fantasie/Traum sind irritierend fließend, klar jedoch ist der Gegensatz von Tag und Nacht, der hier bei Eichendorff nicht dem romantischen Schema der Hochschätzung der Nacht folgt, sondern der Nacht wird die Verführung zugeordnet, die Klarheit, dank christlicher Entscheidung, dem Tag.
Nun zum poetologischen Ansatz, nämlich der Gattungsfrage: Novelle oder Märchen oder beides? Kurz, eher Novelle, aber das könnt ihr dann schematisch im Unterricht auflisten. Interessant ist der Einbruch einer Parallelwelt in die reale Welt, was natürlich keinem Märchen entspricht. Bei der religiösen Interpretation steht das antithetische Verhältnis von Heidentum und Christentum im Zentrum.
Wir kommen zur psychoanalytischen Interpretation, die mir am stärksten einleuchtet. Ansatz ist das Instanzenmodell von Sigmund Freud: Ich, Es und Über-Ich. Das Ich steht für Florio, der zwischen beiden anderen Instanzen hin- und hergerissen ist und beiden gerecht werden möchte, was nicht geht. Hier die klaren Antipoden: Fortunato und Bianka für das Über-Ich, also die moralische Instanz, und Venus/Donati für die triebhafte Seite, hier die sexuellen Wünsche. Das moralisch Gute – also Über-Ich – am Tag, alles Triebgesteuerte in der Nacht. Der Ort Lucca steht für das Es, denn hier sucht Florio verzweifelt seine Schöne, die heidnische Venus. Er verlässt Lucca, als er wieder die Kontrolle über sich erlangte, als er sich fürs Über-Ich/das Gottvertrauen klar entschieden hat. Genau in diesem Moment trifft er auf die drei Vertreter des Über-Ichs: Fortunato, Pietro und Bianka und erkennt dank seiner getroffenen Entscheidung die Persönlichkeit, jenseits der Sexualität, von Bianka.
Auffallend ist, wie die Natur zu einem Spiegel von Florios Seelenverfasstheit wird. Seele und beschriebene Natur bilden eine Einheit, der subjektive Blick auf die Natur bestimmt sie, nicht das objektiv Sichtbare. Dazu kommen noch Florios Erinnerungen an seine Kindheit, in deren Tiefe bereits Abbildungen der schönen Venus und von Lucca „… an schwülen Nachmittagen in dem einsamen Lusthause unseres Gartens“ vorgeprägt sind, und nun wird dies alles lebendig um ihn herum. Die Venus erklärt dies als regressive Vergegenwärtigung (regressiv = Rückfall in bereits durchlebte Phasen), denn in allen Jugendträumen blühe das Bild von ihr auf, bei dem sich jedoch Florio jetzt nicht aufhalten solle. Die erotische Verlockung der noch wenig bekleideten Venus oder das Erwachsenwerden in der eigenständigen Entscheidung für das bürgerliche Ideal der Gesellschaft, wie es der klassische Bildungsroman in der Adoleszenz-Krise fordert, zwischen dieser Entscheidung steht Florio und er entscheidet sich fürs Über-Ich und damit für Bianka.
Und damit sind wir beim gendertheoretischen Ansatz, hierbei geht es um die Bewertung von Weiblichkeit und Männlichkeit. Bei den Frauengestalten haben wir die „Femme fragile“, die unschuldige, verletzliche, sexuell nicht bedrohliche Kindfrau Bianka, und die „Femme fatale“, die verführerische, Männer verderbende/mordende Frau, die die Männer bei ihren regressiven Leidenschaften aus der Kindheit abholt. Florios Prozess des Erwachsenwerdens besteht nun darin, sich von der regressiven Sehnsucht aus Kindertagen nach der Venus zu lösen und sich Bianka als eigenständiger Person – nicht als Projektion seiner Gelüste – zuzuwenden. Jetzt erst erkennt Florio Biankas Seelengröße und damit ihre wahre Schönheit und öffnet sich für die romantische Liebe, bei der sich zwei Personen in Liebe gegenseitig zuwenden. „Und so zogen die Glücklichen fröhlich durch die überglänzten Auen in das blühende Mailand hinunter“, womit die Novelle endet.
Nehmt die Interpretation der Novelle als Spiegel, auch eure Entwicklung auf dem Weg zum Erwachsenwerden kritisch zu hinterfragen, dann wird aus Schullektüre Eigeninterpretation und aus „Deutsch“ Seelenforschung!
Klaus Schenck
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Mein Schul-Resümee: Auf den Lehrer kommt es an!
Powertypen, resigniert nicht, ihr seid das Salz der Schule! Wenn dieses Salz fad wird, wovon soll die Schule leben, wovon die Schüler zehren – und wovon ihr selbst?
- Schülerwunsch: „Handyfreier Unterricht!“ (Schülerzeitungsartikel): https://www.schuelerzeitung-tbb.de/schuelerwunsch-handyfreier-unterricht/
- „Ich sprech‘ hinein in den Interessenstod“ – Lehrergedanken vor der Klasse (Grammatikarbeit): https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-6-grammatikarbeit.pdf
- Motivierende Leistungsschule als Ziel – Abrechnung mit Billig, Banal, Blöd: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-2-endartikelsk-2.pdf
- Abschiedsrede vor dem Kollegium: „Zwischen Lehrerglück und Engagement-Tod“: ehrlich, persönlich, kritisch – ein Lehrerleben der Extreme: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g75-8-abschiedsredekollegium.pdf
- „Faule Säcke, werdet Lehrer!“ – Populismus gegen den Lehrerberuf durch das Kultusministerium: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/faule-saecke-aller-laender-werdet-lehrer-in-baden-wuerttemberg/
- Werbung für den Psychologie-Unterricht als Freiraum für junge Menschen – besonderer Schwerpunkt: „Magersucht + Essstörungen“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/werbung-fuer-den-psychologie-unterricht-als-freiraum-fuer-junge-menschen-besonderer-schwerpunkt-magersucht-essstoerungen/
- „Lehrerbuch“ als Hybrid-Lektüre (Printausgabe, Hörbuch und Internet): Klaus Schenck: „Vom Engagement-Lehrer zum Lehrer-Zombie“. Bange-Verlag, 16 € Mit diesem Buch schrieb ich mich in die Lebensfreude zurück, Stopp, ich will die Restbestände bis Ende April 2025 verkauft haben durch eine Sonderaktion: das Buch für 9,90 Euro! Flyer: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f02-buch-1.-flyer-ueberblick-internet.pdf oder als Animation: https://www.youtube.com/watch?v=woFEVPALHUQ
Materialien für Lehrer und Schüler
- Welche Idee steckt dahinter: „Der Nischenkanal der Abi-Kämpfer“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/der-nischenkanal-der-abi-kaempfer/
- Alle Abi-Materialien auf einen Blick: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/abi-vorbereitung/ , Rückmeldungen zu den Abi-Sendungen: https://www.klausschenck.de/ks/deutsch/index.html und Power-Paket für Abi-Entschlossene: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/gesamt-strategie-fuer-abi-kaempfer/
- Werbung für den Psychologie-Unterricht als Freiraum für junge Menschen – besonderer Schwerpunkt: „Magersucht + Essstörungen“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/werbung-fuer-den-psychologie-unterricht-als-freiraum-fuer-junge-menschen-besonderer-schwerpunkt-magersucht-essstoerungen/
- „Die Stillen in der Schule“ – Ermutigung + Strategien bei Introversion – zum Lesen, Ausdrucken und Anhören: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-1-vom-glueck-der-introversion/
- „Jugend im Selbstspiegel“ – eigene Texte mit Zeichnungen, präsentiert in einer öffentlichen Lesung: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/der-mensch-mit-dem-schizophren-denkenden-herzen-und-der-verwirrten-seele/
- „Handy, Schule und unser Gehirn“, neurologisch-psychologische Forschungsergebnisse in Blick auf Handys und soziale Medien: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/alle-vorsaetze-sind-fuer-den-arsch-wenn-man-sich-nicht-daran-haelt/
- „Handyverbot an Schulen – und wir haben ein Problem weniger!“: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/handyverbot-an-schulen/
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- „Schülerzeitungsermutigung“ (22 Artikel) – Rückblick, Tipps und Strategien für Schüler-Freiraum: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/redaktionsgroesse-zwei-pizza-regel/
- „Faule Säcke, werdet Lehrer!“ – billiger Populismus gegen den Lehrerberuf durchs Kultusministerium: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/faule-saecke-aller-laender-werdet-lehrer-in-baden-wuerttemberg/
Für 2025: Nicht piensen + klagen → anpacken + tun!
Für ukrainische Jugendliche habe ich meine Internetplattform zur Verfügung gestellt. Gleiches wollte ich jüdischen Jugendlichen anbieten und mailte alle jüdischen Gymnasien an – bis jetzt ohne Antwort. Mir wäre wichtig gewesen, jüdisches Leben in Deutschland sichtbar zu machen. Ich bereite für Oberstufenschüler kostenlos im Internet die aktuellen Deutsch-Abi-Werke vor, schreibe für das städtische Mitteilungsblatt und ein Infoblatt in Arosa und als Pressewart für unseren Tennisclub. Alles nichts Weltbewegendes, aber es ist ein konkretes Tun, ein konkretes Engagement, ein konkreter Dienst für andere. Das nimmt mir das sinnlose Grübeln, Ängstigen und Verzweifeln an einer Welt, der ich mich hilflos ausgeliefert fühle.
Für 2025: Vier Schritte: Träumen, Wollen, Tun, Bekommen!
Der „Wenn“ und der „Hätt“ henn noch nie was g´hätt.
Klaus Schenck
„Gebt nicht auf! Für den Triumph des Bösen braucht es nur eines – die Untätigkeit der Guten.“ (Nawalny)