Lehrerbrief: Klaus Schenck

Liebe Schülerinnen und Schüler,

nun liegt es auch an mir, die Werte zu nennen, die mich begleiten, zu erklären, wie sie entstanden und was sie mir bedeuten. Das fordert viel Ehrlichkeit vor sich, aber auch vor euch.
Natürlich werdet ihr feststellen, dass Zentrales fehlt: der Halt und das Getragenwerden in der Familie, auch in den Jahrzehnten nach der Kindheit, die Bedeutung von Freundschaft und von treuen Freunden und die Prägung durch den Sport, dort besonders der Umgang mit Niederlagen. Gemäß meinem eigenen Brief stelle ich stärker Werte des Persönlichen in Blick auf Anforderungen ins Zentrum.

Der „Kategorische Imperativ“ Kants von jedem Schüler mit seinen Gedanken formuliert, die besten Gedanken bepunktet und dann überlegt, wer den Text wohl geschrieben hat. Erst dann wird der Schülername verraten, er steht auf der Rückseite des Blattes.

Verlässlichkeit durch Konsequenz und Liebe

Nein, leicht habe ich es meinen Eltern nicht gemacht. Vater Richter, Mutter Hausfrau / Künstlerin – und ich: extrem kränklich, chaotisch und ließ kaum eine Gelegenheit aus, meine Eltern zu blamieren. Meine Mutter bekam Geschäftsverbot, weil ich den Schlüssel zum Haushaltswarengeschäft hinter einen Schrank warf, der Laden war über längere Zeit blockiert, während ich einen Sauerkrautständer herunterzog. Meinen Vater brachte ich fast ins Gefängnis, als ich einem Ziegel von einem Turmsims einen Stoß versetzte, sodass er in eine Festgesellschaft direkt unterhalb des Turmes krachte, glücklicherweise nur auf den Tisch. Dazu meine extremen Allergien, Krankheiten und Verletzungen aufgrund meiner Wildheit. Was das alles für meine Eltern bedeutete, erfuhr ich erst Jahrzehnte später, als ich über einen frechen Jungen in einem Fernsehfilm ablästerte und meine Mutter nur sagte: „Und du warst noch viel schlimmer!“
Mein Vater erzog mich in Konsequenz und Liebe, wie er zu sagen pflegt. Der Freiraum war groß und die Grenzen klar. Aber es war diese Geborgenheit, diese Verlässlichkeit, aber auch diese Liebe, die mir geschenkt wurde, was immer ich auch gemacht hatte, die prägten. Diese Verlässlichkeit durch Konsequenz und Liebe ist mein persönliches Fundament.
Von daher bin ich noch heute fassungslos ob der täglich mir begegnenden Unzuverlässigkeit, sie stellt noch immer eine Verletzung meines Vertrauens dar, aus dem heraus ich lebe.

Aus Selbstverantwortung: Ehrgeiz, Wille, Fleiß

Es ist nicht leicht, Sohn des Richters in einer Kleinstadt zu sein, das habe ich mit Pfarrerskindern gemeinsam. Nein, es kann richtig zur Last werden, wenn man immer im Schatten seines Vaters steht und die Erwartungen entsprechend sind.
Also, ich legte einen Schulstart hin, der wohl in Baden-Württemberg einmalig ist: Ich marschierte freudig Hand in Hand mit dem Sohn meiner zukünftigen Lehrerin zur Grundschule, aber flog schon nach einer Woche wieder raus in den Kindergarten, was mir nichts ausmachte, aber für meine Eltern nicht unbedingt ein Ruhmesblatt war.
Beim nächsten Versuch blieb ich länger in der Grundschule, die ganz junge Lehrerin mühte sich redlich um mich. Doch das Schreiben und das Lesen war nicht mein Fach gewesen, wie es in einer Operette heißt. Nein, mein Vater verzweifelte nicht. Er diktierte mir stinklangweilige Texte unten in seinem Dienstzimmer, wir wohnten im Amtsgericht, während er nebenher Urteile in das Diktophon sprach. Ich blickte einfach den Unterschied zwischen „dass“ und „das“ nicht, viele von euch werden jetzt natürlich lachen, wenn sie an meinen Deutsch-Unterricht denken!
Nun die Frage, welche weiterbildende Schule. Ich wurde getestet, ich stand zwischen Realschule und Gymnasium. Und in diese Diskussion hinein fiel der entscheidende Satz meines Vaters: „Ich bin für die Realschule. Aber wenn du aufs Gymnasium willst, bekommst du von mir jede Unterstützung!“ Der Sohn des Richters auf die Realschule, für meinen Vater kein Problem, aber für mich. Meine Verwandtschaft, fast alle Akademiker, ich, das Problemkind vom Dienst, nun noch auf die Realschule? Ich schrieb als kleiner Pimpf in meiner Krakelschrift groß auf ein Blatt Papier: „Ich will aufs Gymnasium. Ich trage die Verantwortung. Es ist mein Wille!“ Dieses Blatt bewahrte ich in meiner Schreibtisch-Schublade ganz tief unten auf.
Na ja, leicht fiel die neue Schule mir nicht. Jeden Morgen hörte mich mein Vater vor Unterrichtsbeginn ab, meist englische, später französische Vokabeln. Aufgrund meiner langen Leitung gestalteten sich die ersten zwei Jahre nicht berauschend, doch dann zog ich ab. Lob, Preis, Zeugnisse mit vielen Einsern, ich platzte fast vor Stolz, – auch, alle Zukunftsprognosen zu meiner Schulkarriere Lügen gestraft zu haben.
Ehrgeiz, Wille, Fleiß waren meine „Waffen“ als nicht so Begabter mithalten zu können und manchen Begabten um Längen zu schlagen.
Deshalb gilt mein besonderes Interesse, mein besonderer Einsatz den eher schwächeren Schülern, die nicht bereit sind, bei ihrer Schwäche stehen zu bleiben. Deshalb auch die Aufsatz- und Prüfungsstrategien, um gerade diesen schwächeren die Chance auf ein gutes Abitur in „Deutsch“ zu geben, hierin liegt mein Ehrgeiz und das sind dann die Erfolge, auf die ich wirklich stolz bin.

Aus Achtsamkeit: Lob, Dank, Anerkennung

Mein Vater hatte die für uns oft ziemlich peinliche Marotte, er ließ nach einem sehr guten Essen den Koch an den Tisch rufen und sagte ihm: „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken, Sie haben das alles so schön angerichtet und es schmeckte ausgezeichnet!“ Das Staunen des Kochs war meist unbeschreiblich, aber auch seine Freude. Meine Schwester und ich wurden darauf getrimmt, besonders das Tun einfacher Menschen wahrzunehmen und ihnen dafür zu danken.
Lob, Dank, Anerkennung begleiteten uns im Familienalltag. Sie spornten uns nicht nur an, sondern lehrten uns auch, mit der gleichen Wertschätzung anderen zu begegnen. Dazu zählte dann auch das Grüßen, worauf mein Vater ungemein Wert legte. Nicht zu grüßen war fast schon etwas „Barbarisches“, was aus seiner Sicht etwas zwischenmenschlich Verletzendes an sich hatte, ich sehe dies bis heute so. Nicht grüßende Schüler sind mir ein Gräuel, sie verletzen elementare Regeln des Zwischenmenschlichen.
Die Klimaerwärmung ist das eine Problem, die zwischenmenschliche Klimavereisung das andere. Ohne Lob, Dank, Anerkennung vegetieren wir freudlos vor uns hin. Das Lob ist der Sonnenschein in den so grauen Alltag, der Dank die Ermutigung weiterhin anderen Gutes zu tun, aus der Anerkennung schöpfen wir die eigene Wertschätzung und all diese Grundwerte menschlicher Existenz werden heute mit Füßen getreten. Wir leben in einer Zeit, die nach Anerkennung giert, aber wir versäumen Anerkennung anderen zukommen zu lassen. Ein Strudel, der uns in die zwischenmenschliche Eiszeit saugt!

In der Schule geht es auch um Träume! Mein Traum eines gemeinsamen Freiheitsraums waren die Schülerzeitung und „Psychologie“.

Erfolg dank Durchhaltevermögen, Entschlossenheit und Selbstdisziplin

Kränklichkeit in der Kindheit lehrt durchzuhalten. Die Gegenwart wird immer stark von der Zukunft bestimmt. Das Heute bedeutet Einschränkungen, um eines höheren Zieles willen, nämlich der Gesundung. Wer seine „Minderwertigkeit“, und so habe ich es teilweise als Kind empfunden, auszugleichen entschlossen ist, wird zum Steher, wird zum Kämpfer.
Es ist nicht lustig, immer wieder zurückstehen zu müssen, nicht das auf Anhieb wie andere leisten zu können, oft das Bett zu hüten oder in Kinderheimen zu sein, aber diese „Minderwertigkeit“ setzt Kräfte der Entschlossenheit frei, ein Ziel erreichen zu wollen, ja zu müssen, alles dafür zu geben, auch wenn es Wochen, Monate, gar Jahre dauert.
Durchhaltevermögen und Entschlossenheit werden zur zweiten Natur, die in Selbstdisziplin gelebt wird. Ich hatte keine andere Wahl!
Ich weiß natürlich, wie über Gewissenhafte abgelästert wird, bis der eine oder andere erkennt, dass genau diese Gewissenhaften zu einem stehen, während andere sich verdünnten.

Getragensein im Gottvertrauen

Nein, ich war als Kind nicht sehr fromm und bin auch nicht fromm erzogen. Als Schüler machten mich die Frommen aggressiv und ich griff sie entsprechend verbal an. Ich hatte einen tollen Religionslehrer, der auch nicht fromm war, aber der reflektierte, hinterfragte und uns zum Denken animierte. Diese denkerische Herausforderung faszinierte mich. Ich wollte es wissen, deshalb studierte ich Theologie und war begeistert, auf dieser hohen Reflexionsebene Bibel, Glauben und Wissen begegnen zu können. Ich lernte von meinen brillanten Professoren, dass Forschen, Denken und Glauben sich nicht ausschließen. So wurde ich gläubig im Studium, eine sehr seltene Variante.
Je länger ich studierte, desto überzeugter war ich vom christlichen Glauben. Viele meiner Fragen wurden jetzt nicht durch Wissen gelöst, sondern durch Vertrauen, also durch eine andere Haltung in Blick auf Antworten.
In den Jahren erfuhr ich durch die mir vermittelte Achtsamkeit, wie immer wieder Dinge passierten, die vieles positiv für mich veränderten, auch wenn ich es im Augenblick oft nicht so sah. Ich weiß, damit kann man keine Schüler überzeugen, mich als Schüler schon gar nicht, aber dieses Gottvertrauen ist etwas, was mich trägt, zu mir gehört, was mir in meinem Leben, besonders in dunklen Zeiten, sehr wesentlich wurde und woraus ich viel Kraft schöpfe. Ich vertraue, Vertrauen bedarf keiner Beweise, sondern persönlicher Erfahrung!

Aus Realismus: Selbstannahme

Das soll nun mein letzter Punkt sein, da er erst in Jahrzehnten in mir wuchs. Ich nehme mich an, wie ich bin, mit allem Positiven und Negativen. Ich bin es, es gehört zu mir und ohne dieses wäre ich nicht ich! Ich sage Ja zu meinen Stärken, aber auch zu meinen Grenzen. Und in diesen Grenzen, aber mit diesen Stärken kann ich mich verwirklichen, glücklich und erfolgreich sein. Selbstannahme gilt neuerdings in der Psychologie als Weg zum Glück! Ich empfinde Selbstannahme als etwas Befreiendes von Neid. Entweder ich hänge mich rein und schaffe das Ziel oder ich akzeptiere dieses Ziel nicht schaffen zu können, dann wird es auch nicht mein Ziel, auf jeden Fall nicht auf lange Sicht!
Aus der Selbstannahme schöpfe ich Kraft, Energie und Willen zur Veränderung, aber sie macht auch gelassen. Ich will kein Anderer sein, ich will ich sein und als Ich die Chancen meines Lebens entschlossen und in innerer Begeisterung anpacken! Ich kann mein eigenes Leben leben und viele meiner Träume verwirklichen, dafür bin ich dankbar!

So, liebe Schülerinnen und Schüler,
vermutlich werdet ihr mit einigen Punkten nur wenig anfangen können, dann unterscheidet ihr euch in nichts von mir als Schüler!
Ich habe ehrlich meine Antworten gegeben und überlasse nun euch, ob ihr in ihnen Antworten für euren Lebensvollzug findet, – vielleicht nicht heute, später, … lasst euch Zeit!

Euch nun Erfolge, innere Beglückung im Tun und für euer weiteres Leben alles Gute und Gottes Segen!

Artikel und Fotos: Klaus Schenck, 2012

Dreißig Jahre Veröffentlichungen eines „Unzeitgemäßen“, dessen Warnungen damals heute beklagte Schulrealität sind: https://www.klausschenck.de/ks/veroeffentlichungen/paedagogik/index.html

 

Links zur Werte-Brief-Aktion 2022 – 10 Jahre später

Ordner mit allen Werte-Briefen: https://www.klausschenck.de/ks/veroeffentlichungen/eigene-artikel/werte-briefe/index.html

Begründung dieser Werte-Brief-Aktion: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-1-sk-werte-anschreiben-kopfzeile.pdf

Einzelne Werte-Briefe:

Materialien für Lehrer und Schüler

Klaus Schenck, OSR. a.D.
Fächer: Deutsch, Religion, Psychologie
Drei Internet-Kanäle:
Schul-Material: www.KlausSchenck.de
Schüler-Artikel: www.schuelerzeitung-tbb.de
Schul-Sendungen: www.youtube.com/user/financialtaime
Trailer: Auf YouTube ansehen
„Vom Engagement-Lehrer zum Lehrer-Zombie“/Bange-Verlag 2020:
Info-Flyer: Download

Über den Autor

Klaus Schenck unterrichtete die Fächer "Deutsch", "Religion" und "Psychologie". Er hatte 2003/04 die Schülerzeitung "Financial T('a)ime" (FT) zunächst als Printausgabe ins Leben gerufen, dann 2008 die FT-Homepage, zwei Jahre später die FT-Sendungen auf YouTube (www.youtube.com/user/financialtaime) , zusätzlich ist noch seine Deutsch-Homepage (www.KlausSchenck.de) integriert, sodass dieses "Gesamtpaket" bis heute täglich auf rund 1.500 User kommt. Mit der "FT-Abi-Plattform" wurde ab 2014 das Profil für Oberstufen-Material - über die Schülerzeitung hinaus - geschärft, ab August 2016 ist wieder alles in einer Hand, wobei Klaus Schenck weiterhin die Gewichtung auf Schulmaterial beibehält und die Internet-Schülerzeitung (FT-Internet) bewusst auch für andere Interessierte öffnet.

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