Geboren und aufgewachsen bin ich auf einem Bauernhof, ein typischer süddeutscher Gemischtbetrieb mit Äckern, Wiesen und Tierhaltung. Der Hof liegt in einem kleinen Weiler, 3 KM entfernt vom Hauptort und somit besuchten, schon aus logistischen Gründen, weder meine 3 Schwestern noch ich den Kindergarten. Es gab trotzdem weder Langeweile oder das Gefühl von Versäumnissen, weil es noch mehrere Kinder mit dem gleichen Schicksal in der Nachbarschaft gab und wir ganzjährig immer ausreichend Beschäftigung fanden. Bei aller Bescheidenheit fühlten wir uns wie im Paradies. In negativer Erinnerung geblieben sind mir lediglich die ersten Wochen in der Grundschule, weil sich die anderen Erstklässler bereits aus dem Kindergarten kannten und einen gewissen Schutzwall um sich aufgebaut hatten, aber das legte sich rasch. Gefühlt war ich viele Jahre aber doch schüchterner als die anderen Mitschüler aus dem Kernort. Erzogen worden sind wir in der Familie streng katholisch mit z.B. sehr regelmäßigen Gottesdienstbesuchen. Bis heute bin ich fest davon überzeugt, dass mir mein Glaube und manch hilfesuchender Blick zum Himmel in schwierigen Situationen stets hilfreich waren und sind.
Als einziger Sohn unter vier Kindern war mein Weg in die Landwirtschaft im Grunde alternativlos, zumindest für meinen Vater – er hat sogar Lehrern eine Absage erteilt, die mich aufs Gymnasium schicken wollten – ihn trieb die Sorge um, dass der Bub dadurch für die Hofnachfolge abhandenkommen könnte. Wenn ich meinem Vater zunächst auch sein Vorgehen verübelt hatte, so bin ich doch nie wirklich unzufrieden mit meiner Berufswahl und schon gar nicht mit meinem Lebensweg gewesen. Ich wählte die klassische Ausbildung bis zum Landwirtschaftsmeister, war sehr schnell in Prüfungsausschüssen für Gesellen- und Meisterprüfungen und bin bis heute davon überzeugt, dass Landwirt ein sehr anspruchsvoller Beruf mit einigen Nachteilen, insbesondere wegen der Abhängigkeit vom Wetter, aber als freier Unternehmer auch mit zahlreichen Vorteilen und spannenden Herausforderungen verbunden ist.
Herausforderungen haben mich immer gereizt und so ließ ich mich dazu bewegen, nachdem ich meine eigene Familie gegründet hatte und meine Eltern noch zur Unterstützung am Betrieb waren, die Geschäftsführung in einem noch jungen Maschinenring (eine Selbsthilfeeinrichtung für Landwirte) zu übernehmen. Dieser Job öffnete mir den Blick über die Hoftüre hinaus, brachte mir viele neue Kontakte, wir waren extrem erfolgreich und so etwas motiviert und lässt einem bekanntlich Flügel wachsen. Der Maschinenring wuchs rasch bis auf 500 Mitglieder an und drei gewerbliche Töchter wurden unter meiner Leitung gegründet. Dies hatte zur Folge, dass wir den eigenen Betrieb in der Tierhaltung extensivierten und anstelle eines neuen Kuhstalles zwei Ferienhäuser bauten – ein wie ich bis heute finde kluger Schritt!
Was ich aus all dem gelernt habe – es kommt nicht zwingend auf einen festen Plan im Leben an – manchmal geht es einfach darum, eine Herausforderung anzunehmen und nach dem Ja-Sagen, mit Energie und Zuversicht die neuen Aufgaben anzugehen.
So bin ich gar, obwohl in der Jugend nur mittelmäßig politisch interessiert, zum Berufspolitiker geworden. Angefangen hat es damit, dass ich mich schon recht jung zur Kandidatur für den Kreistag im Neckar-Odenwald-Kreis überreden ließ, es war zu diesem Zeitpunkt kaum ein Landwirt in dem Gremium. Als Maschinenringmann hatte ich mir einen Bekanntheitsgrad erarbeitet, der mir auf Anhieb die erforderliche Stimmenzahl zum Einzug in das Gremium brachte. Dort wuchs dann mein Interesse an der Politik – fast schlagartig wurde mir klar, wie wichtig es in allen politischen Gremien ist, dass die Abgeordneten aus verschieden Bevölkerungs- und Berufsschichten kommen, das entspricht im Übrigen auch dem urdemokratischen Gedanken.
Wichtige politische Entscheidungsträger waren es dann auch, die mir die Überlegung nahegelegt haben, mich zur Bundestagswahl 2009 als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Das konnte ich mir zunächst überhaupt nicht vorstellen, mein Leben war doch straff ausgefüllt, Maschinenring, Ferienbauernhof, Familie mit drei Kindern, der Jüngste war mittlerweile zum Glück schon 16 Jahre alt. Nach intensiven Diskussionen, vor allem in der Familie und einigen schlaflosen Nächten habe ich schließlich aus den vorgenannten Gründen zugesagt.
Ab sofort begann für mich im Alter von 52 Jahren ein ganz neuer Lebensabschnitt. Maschinenring aufgeben, Betrieb mit Fremd-AK neu aufstellen, Familie und sich selbst auf manchen Verzicht einstimmen. Der Wahlkampf in einem der größeren Wahlkreise im Bundesvergleich hat dank vieler Unterstützer richtig viel Spaß gemacht und wir waren richtig erfolgreich – das beste Wahlergebnis in Baden-Württemberg und eines der vorderen im ganzen Bundesgebiet. Das hat mir den Start in Berlin erleichtert und mächtig viel Selbstvertrauen gegeben. Gelernt habe ich dort schnell, dass es nicht wichtig ist immer der Vorlaute zu sein, sondern dass man viel erfolgreicher ist, wenn man solide sein Netzwerk pflegt und sich besonders dann meldet, wenn man fachlich und sachlich zu bestimmten Themen substanzielle Aussagen treffen kann. Zugute gekommen ist mir in Berlin sowohl mein beruflich fachlicher Hintergrund als auch die Arbeit im Kreistag und dem Maschinenring – freies Reden vor Publikum, gewohnter Umgang mit der EDV und mit Mitarbeitern. Bereits nach einem Jahr wurde ich zum Obmann im Ernährungsausschuss gewählt und als Krönung durfte ich diesen wichtigen Ausschuss insgesamt 7 Jahre bis zu meinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag im Herbst 2021 leiten. In 12 Jahren Bundestag durfte ich – Gott sei Dank – gesund bleiben, es war eine sehr arbeitsreiche Zeit zwischen Wahlkreis und Berlin, aber für mich persönlich war es lehrreich. Ich hatte das Glück mit extrem viel klugen Menschen reden zu dürfen, an die ich sonst als Bauer Alois wohl nie herangekommen wäre. Mit meiner persönlichen Bilanz, sowohl in Berlin als auch mit dem, was ich direkt für meinen Wahlkreis erreichen konnte, bin ich sehr zufrieden.
Meine Lehren aus meinem Leben und die Empfehlungen daraus an junge Menschen könnten in der Kurzfassung so aussehen:
1. Möglichst offen, manchmal beharrlich, aber immer ehrlich seine Meinung vertreten, sich ruhig auch mal zu Dingen bei der Berufswahl, dem Hobby oder dem Ehrenamt hinschieben lassen, auch wenn man nicht gleich davon überzeugt ist – man wächst an seinen Aufgaben!
2. Sich, in welcher Form auch immer, in die Gesellschaft einbringen – gemeinsam statt einsam hilft einem persönlich und den Mitbürgern.
3. Junge Menschen dürfen heute aber auch mal NEIN sagen und neue Dinge probieren, wenn’s gar nicht funktioniert.
4. Möglichst immer POSITIV denken und handeln, mir hilft es, wenn ich ins Umfeld oder die Welt hinausschaue, da gibt so viele härtere Schicksale als mein eigenes.
5. Den Mitmenschen gegenüber respektvoll begegnen, auch wenn sie vermeintlich einen anderen sozialen Status haben als man selbst.
6. Sich sehr ernsthaft mit den Themen Umwelt, Klima, Frieden und Ernährung beschäftigen, wir haben nur die eine Erde und Ihr, liebe Kinder und Jugendliche, seid die Zukunft!
Alois Gerig
Interview der Schülerzeitung mit Alois Gerig, 2011: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/interview-mit-dem-bundestagsabgeordneten-alois-gerig/
Links zur Werte-Brief-Aktion
Ordner mit allen Werte-Briefen: https://www.klausschenck.de/ks/veroeffentlichungen/eigene-artikel/werte-briefe/index.html
Begründung dieser Werte-Brief-Aktion: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-1-sk-werte-anschreiben-kopfzeile.pdf
Einzelne Werte-Briefe:
- Klaus Schenck: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-2-sk-werte-artikel-kopfzeile.pdf
- Georg Denzer: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-3-denzer-werte-artikel-kopfzeile.pdf
- Dr. Martin Lowsky: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-4-werte-lowsky-artikel-kopfzeile.pdf
- Ursula Burkert: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-5-burkert-werte-artikel-kopfzeile.pdf
- Alois Gerig: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f25-6-gerig-werte-artikel-kopfzeile.pdf