PISA-Studie – Zwischen Wissenschaft und Schwachsinn

 

FC Bayern München, FC Schalke 04, Deutschland spielt in der Champions League! Aufgrund der guten Leistungen der Bundesliga-Klubs winkt sogar der vierte Champions League Platz im kommenden Spieljahr. Doch wie ist es eigentlich um unser Bildungssystem bestellt? Spielen wir hier ebenfalls auf Champions League Niveau? Glaubt man der kürzlich veröffentlichten Pisa-Studie, dürfte dies wohl kaum der Fall sein.
Laut der Studie haben sich zwar in den vergangenen Jahren kontinuierlich die mathematischen, naturwissenschaftlichen und sprachlichen Kompetenzen der 15-Jährigen Schüler in Deutschland verbessert, dennoch lassen die Ergebnisse gemessen an unserer Wirtschaftskraft stark zu wünschen übrig. In den Pisa-Ranglisten der OECD dümpelt Deutschland weiterhin auf düsteren Plätzen zwischen 13 und 20 umher, was in etwa der unteren Hälfte der 1. Bundesliga entspräche. Kann man der PISA-Studie jedoch überhaupt trauen? Sind Schüler in Shanghai und Finnland wirklich gebildeter als Schüler in Deutschland? Worin besteht das Geheimnis von Staaten, die bei der PISA-Studie überdurchschnittlich gut abschneiden? Um dies herauszufinden, begeben wir uns auf Spurensuche.
Zuerst stellt sich natürlich die Frage, was die PISA-Studie überhaupt ist. Der Name der Studie hat nicht, wie manche Leute denken etwas mit der italienischen Stadt Pisa zu tun, sondern ist lediglich eine Abkürzung für die englische Bezeichnung „Programme for International Student Assesment“. In Zeitungen findet man immer wieder ausführliche Artikel über diese Studie, die sich sogar nicht selten über eine ganze Seite erstrecken. Oft werden von den Medien aber nur die möglichen Hintergründe für das schlechte Abschneiden unseres Landes aufgelistet und die Pisa-Studie an sich dabei oft vernachlässigt.
Die PISA-Studien sind Schülerleistungsuntersuchungen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), welche seit dem Jahr 2000 im dreijährigen Rhythmus in vielen Ländern durchgeführt werden. Untersucht werden bei 15-jährigen Schülern die Lesekompetenz sowie mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse. Sinn und Zweck der Studie ist es Probleme in Schulsystemen aufzuzeigen und zugleich Lösungen für diese anzubieten, hierbei sollen Länder, die besonders gut bei der Untersuchung abschneiden, anderen Ländern, die schlechter abschneiden als Orientierung dienen, dabei soll eine Art Konkurrenzkampf entstehen.
Nun aber zum wichtigsten und interessanten Teils des Artikels, den Ergebnissen der internationalen PISA-Studie aus dem Jahr 2010:

MathematikNaturwissenschaftenLeseverständnis
1. China (Shanghai)1. China (Shanghai)1. China (Shanghai)
2. Singapur2. Finnland2. Südkorea
3. Hongkong, China3. Hongkong, China3. Finnland
4. Südkorea4. Singapur4. Hongkong, China
5. Taiwan5. Japan5. Singapur
6. Finnland6. Südkorea6. Kanada
7. Liechtenstein7. Neuseeland7. Neuseeland
8. Schweiz8. Kanada8. Japan
9. Japan9. Estland9. Australien
10. Kanada10. Australien10. Niederlande
16. Deutschland13. Deutschland19. Schweden
21. Norwegen15. Schweiz20. Deutschland
26. Schweden24. Norwegen22. Frankreich
28. Vereinigtes Königreich29. Schweden24. Dänemark

An den Ergebnissen fällt einem sofort ins Auge, dass die chinesische Global-City Shanghai in allen drei Disziplinen Spitzenreiter ist. Ein Grund für das gute Abschneiden Shanghais sind sicherlich die bombastischen Summen an Geld, die in das Bildungssystem Jahr für Jahr gepumpt werden. Auch die Art und Weise, wie in Shanghai gelernt wird, unterscheidet sich grundlegend von der in Deutschland. Der Lehrer stellt hier eine extrem autoritäre Person dar, die den Schülern den Lehrstoff regelrecht eintrichtert. Schlüsselqualifikationen und die Entwicklung von Fähigkeiten wie Empathie, Humor und Fairness bleiben dabei auf der Strecke, mit verheerenden Folgen: In Ländern wie Japan, Südkorea und China findet man weltweit die höchsten Selbstmordraten bei Schülern vor. Die gute Platzierung von solchen Staaten scheint also auf den ersten Blick hart erarbeitet zu sein, sozusagen Bildung um jeden Preis.

Dennoch muss man sich in Zeiten, in denen Fußballweltmeisterschaften in Ländern wie Russland und Katar abgehalten werden, fragen, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht, vor allem dann, wenn China seine Hände im Spiel hat.
Zum einen lässt sich jedenfalls sagen, dass Shanghai nicht auf dem Siegertreppchen stehen würde, hätte man die PISA-Studie auch in anderen, ärmeren Teilen Chinas durchgeführt. Wären in Deutschland nur Schüler aus dem reichen Berliner Stadtviertel Charlottenburg getestet worden, sähe das Ergebnis von Deutschland vermutlich auch ganz anders aus. Zum anderen werden die Ergebnisse in Shanghai und vielen weiteren Ländern auch dadurch verfälscht, dass man vor allem die Söhne und Töchter armer Eltern von dem Bildungssystem komplett ausschließt, während den Kindern reicher Eltern eine erstklassige Bildung ermöglicht wird, nicht zuletzt auch durch Nachhilfe, die die reichen Eltern finanzieren. Legastheniker, Migranten, Schüler mit Lese-Rechtschreibschwäche und Berufsschüler werden zudem in vielen Ländern (darunter auch Finnland) von der PISA-Studie vollständig ausgeschlossen, um ein besseres Ergebnis erzielen zu können. Ein unsportliches Verhalten!
Könnte man Staaten, die diese diskriminierenden und unfairen Praktiken anwenden, disqualifizieren, würde Deutschland in der Rubrik Mathematik um circa acht Plätze im Ranking nach vorne rutschen. Wir stehen also gar nicht so schlecht im internationalen PISA-Bildungsvergleich da! Sogar den in den Medien hochgelobten Bildungsländern im Norden Europas wie Schweden, Dänemark und Norwegen sind wir im offiziellen PISA-Ranking (siehe oben) längst davon gezogen, obwohl das Konzept dieser Staaten mit kleinen Klassen, Gesamtschulen, gut ausgebildeten Lehrern, individueller Förderung und Ganztagsbetreuung weltweit einmalig ist und oft auch als Ideal angesehen wird. Da stellt sich natürlich die Frage, ob dieses Konzept nun verwerflich ist oder ob bei der PISA-Studie etwas falsch läuft. Interessant wäre es natürlich, sich die Studie einschließlich der Fragen genauer anzuschauen. Da die OECD die Studie unter Verschluss hält, ist eine Überprüfung leider jedoch nicht möglich. Doch schon an einer Beispielaufgabe aus dem Bereich Mathematik, erkennt man schnell, dass die Fragen missverständlich formuliert sind und neben Mathematik auch in enger Verbindung mit dem Leseverständnis stehen. Ein Migrant hätte also trotz vielleicht guter Mathematikkenntnisse auf Grund seiner Herkunft schlechte Chancen, eine solche Aufgabe zu lösen. Kein Wunder also, dass viele Länder, die im PISA-Ranking in den Top-10 liegen, einen geringen Schülermigrantenanteil aufweisen.

Schlafende Robbe

Eine Robbe muss atmen, auch wenn sie schläft. Martin hat eine Stunde lang beobachtet. Zu Beginn seiner Beobachtung befand sich die Robe an der Wasseroberfläche und holte Atem. Anschließend tauchte sie zum Meeresboden und begann zu schlafen. Innerhalb von 8 Minuten trieb sie langsam zurück an die Oberfläche und holte Atem. Drei Minuten später war sie wieder auf dem Meeresboden, und der ganze Prozess fing von vorne an.

Nach einer Stunde war die Robe:

a auf dem Meeresboden
b auf dem Weg nach oben
c beim Atemholen
d auf dem Weg nach unten

(Lösung am Ende des Artikels)

Zumal solche Aufgaben noch in viele andere Sprachen übersetzt werden müssen, treten schnell Differenzen auf, die die Leistung der Schüler im positiven oder im negativen Sinne beeinträchtigen. Wissenschaftler haben bereits vor über 20 Jahren festgestellt, dass kleinste Änderungen im Wortlaut, die man für gewöhnlich für nebensächlich hält, enorme Schwierigkeiten für Schüler beim Lösen von Textaufgaben bedeuten können. Die Ergebnisse der internationalen PISA-Studie, die Anspruch auf Wissenschaft erheben, werden somit schnell zum „Zufallsprodukt“ und spiegeln nur bedingt das Bildungsniveau von Schülern wider.
Wir sollten deshalb nicht immer gleich in Panik verfallen, wenn die PISA-Ergebnisse unseres Landes schlecht ausfallen. Stattdessen sollten wir stolz auf unser Bildungssystem sein, das jedem, egal ob arm oder reich, eine Chance bietet und uns überlegen, ob wir überhaupt „Bildung“ um jeden Preis in Form von Pauk-Schulen haben wollen und, ob Bildung vielleicht auch mehr ist als nur Naturwissenschaften, Mathematik und Lesekompetenz.

http://de.wikipedia.org/wiki/PISA-Studien (Stand 07.01.2011)
http://www.oecd.org/document/20/0,3343,de_34968570_39907066_39648148_1_1_1_100.html (Stand 09.01.2011)
http://www.borsche.de/pisa/ (Stand 09.01.2011)

Lösung Aufgabe: a

Artikel: Christoph Baumann

Materialien für Lehrer und Schüler

Weitere Artikel zum Thema