„Spuk-Burg“, Sternwarte – und ein verschollener Koronograph

Liebe Leserinnen und Leser,

sie hat etwas Spukhaftes, Gespensterhaftes – die Sternwarte von Arosa. Sie thront wie auf einem Katzenbuckel beim Tschuggen: abweisend, grau, alt und geheimnisvoll. Ich umkreiste sie öfters auf meinen Spaziergängen, nie erlebte ich sie offen. Ein Relikt alter Zeiten – Mittelalter, Romantik, Schauergeschichten von E.T.A. Hoffmann, kein „Zauberberg“ von Thomas Mann, sondern ein „Schauderberg“ im fahlen Mondschein: aufgestoßene Luken zu Mitternacht, ausgehängte Türen, die Kuppel öffnet sich quietschend, wem? Ein Fest, eine Orgie, ein wildes Treiben – und dann am Morgen: still, geschlossen, verlassen – wie immer! Meine Phantasie!

Alles falsch! Keine Geistwesen, auch keine Tages-Gespenster empfingen mich in der seit 2023 der Öffentlichkeit wieder zugänglichen Sternwarte, sondern zwei sehr freundliche, sehr engagierte Herren: Pierre Uhl (Chef der AOT – Astrophysikalisches Observatorium Tschuggen) und Dietmar Mondon (Physiker, Forscher bei Zeiss mit viel handwerklichem Geschick). Zunächst wurde ich gleich mal aufgeklärt: Es ist ein Sonnen-Observatorium, also meine Phantasien des nächtlichen Treibens waren genauso falsch wie der Blick in den Sternenhimmel. Dieser „Außenposten“ der Sonnenbeobachtung der ETH Zürich wurde 1939 nach Plänen von Prof. Waldmeier gebaut – Mittelalter, Romantik, totaler Blödsinn!

Kurz die damalige die Forschung: der Koronograph simuliert eine Sonnenfinsternis, also die Sonne ist beschattet, als Ball nicht sichtbar, nur die Ränder, die Korona. Ein 2,5 m langes Fernrohr ragt Richtung Sonne und man sieht die Spektralfarben, also bei meinem Sonnenblick grün mit schwarzen Balken – auf der Tabelle: Magnesium. Ab 1965 kam der Spektograph mit großen Spiegeln, riesiger Brennweite (30 Meter) und extrem viel Sonnenlicht dazu, sodass die Sonnenflecken auf der weißen Fläche gut sichtbar sind.

Nun gibt es doch eine Geschichte – nicht von Gespenstern, sondern von dem verschwundenen Koronographen ab 1980: Keiner wusste, wo das 2,5m-„Geschoss“ geblieben ist. Nur noch der Sockel war vorhanden – mehr nicht. Ein Anwalt mit einem Nebenstudiengang in Astronomie sieht in einer Werkhalle so ein Riesenfernrohr herumliegen, fertig zum Abtransport zur Schrott-Verwertung. Der LKW steht schon an der Rampe zum Einladen. Der Anwalt sichert sich das Technik-Ungetüm und deponiert es im Keller seiner Mutter – wenig zu ihrer Freude. Dann kommen Umzüge dazu – das Ungetüm „zügelt“ mit, bis es nicht mehr platzmäßig geht. Im Dezember 2020 die Sensation: ein Internet-Angebot des Koronographen von Arosa. Die Astronomische Gesellschaft Graubünden schlägt zu, sichert sich dieses einmalige Objekt: Das Observatorium hatte seinen Koronographen wieder, aber in technisch schlechtem Zustand. In der Kantonsschule Chur wurde er gelagert und von Dietmar Mondon – dem Astrophysiker von Zeiss mit dem handwerklichen Geschick – und weiteren Mitarbeitern zusammengebaut, während Pierre Uhl all seine Kontakte spielen ließ – auch in Blick auf Fördergelder.

Was mich an dieser Führung faszinierte, waren die beiden Führer Mondon und Uhl, die für das Observatorium, für die mächtigen Beobachtungsgeräte glühten, diese sind „ihre Babys“, denen sie mit ihrem Engagement, ihrer Kenntnis und ihrer Hartnäckigkeit Leben einhauchten. Spezialisten mit enormem Wissen, aber der Fähigkeit, auch Laien, auch Geisteswissenschaftler wie mich „an die Hand“ zu nehmen, um das Notwendige so zu erklären, dass für Momente ein Erkennen, ein Hauch von Durchschauen in einem aufblitzt. Diese geforderte Konzentration auf eine total fremde Sache atmet Inspirierendes und lässt gleichzeitig uns Besucher begreifen, wie viel uns in dieser Astrowelt verborgen, einfach nicht fassbar ist.

Dieses renovierte Observatorium ist ein Geschenk für Arosa, etwas Einmaliges, etwas so Begeisterndes, dass wirklich alle Schüler von Arosa, vom Schanfigg bis nach Chur erleben sollten, was dieser Blick in die Sonne bedeutet, wie Forschung im Universum funktioniert, in welchen Dimensionen sich die Astrophysik bewegt – in der Anschauung vor Ort, im Sehen der riesigen Geräte, im Blick durch die kleine Linse in für uns Besucher ganz unbekannte Welten. Auch sollten junge Menschen spüren, wie Begeisterung, Engagement und Tun Einzelner Dinge verändern – hier die Wiederbelebung eines Observatoriums. Vielleicht sät dieses mitreißende Sprühen von Mondon und Uhl in Jugendlichen den Samen für die Naturwissenschaft, für die Forschung, für die Sehnsucht nach den noch unbekannten Welten – ein Observationsbesuch als Interessensentscheidung, das wäre doch ein Ding!

Artikel und Fotos: Klaus Schenck

Die Sonne am 10. Juni 2024:

Link für Führungen: https://aot-arosa.ch/

Mailadresse von Pierre Uhl: pierre@observatorium-arosa.ch

 

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Über den Autor

Klaus Schenck unterrichtete die Fächer "Deutsch", "Religion" und "Psychologie". Er hatte 2003/04 die Schülerzeitung "Financial T('a)ime" (FT) zunächst als Printausgabe ins Leben gerufen, dann 2008 die FT-Homepage, zwei Jahre später die FT-Sendungen auf YouTube (www.youtube.com/user/financialtaime) , zusätzlich ist noch seine Deutsch-Homepage (www.KlausSchenck.de) integriert, sodass dieses "Gesamtpaket" bis heute täglich auf rund 1.500 User kommt. Mit der "FT-Abi-Plattform" wurde ab 2014 das Profil für Oberstufen-Material - über die Schülerzeitung hinaus - geschärft, ab August 2016 ist wieder alles in einer Hand, wobei Klaus Schenck weiterhin die Gewichtung auf Schulmaterial beibehält und die Internet-Schülerzeitung (FT-Internet) bewusst auch für andere Interessierte öffnet.

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